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Wieviel Regulierung braucht das Land?

In einem Interview sprach der Lausanner Professor Howard Yu über Innovation. Er meinte, die Schweiz und auch Europa seien überreglementiert, die Mühlen der hiesigen Bürokratie mahlten langsam, zu langsam für Unternehmen. Das sei kein guter Nährboden für Innovationen.
Regulierung ist wichtig - man kann es aber auch übertreiben. (Bild: Pixabay/klafue)

In einem Interview sprach der Lausanner Professor Howard Yu über Innovation. Er meinte, die Schweiz und auch Europa seien überreglementiert, die Mühlen der hiesigen Bürokratie mahlten langsam, zu langsam für Unternehmen. Das sei kein guter Nährboden für Innovationen.

In der Schweiz sind über 99% aller Unternehmen KMU, also Betriebe mit maximal 250 Mitarbeitenden. Betrachtet man die Anzahl der Beschäftigten sinkt dieser Anteil. Dennoch arbeiten zwei Drittel aller Angestellten bei kleinen und mittleren Unternehmen. Zurecht also gelten KMU in der Schweiz als Rückgrat der Wirtschaft.

Bezogen auf die einzelnen Sektoren gibt es jedoch Unterschiede. Landwirtschaftsbetriebe sind durchschnittlich kleiner als Dienstleistungs- und Industrieunternehmen. Und im Industriesektor gibt es einen relativ hohen Anteil an Grossunternehmen, die über 42 Prozent der in der Industrie arbeitenden Personen beschäftigen.

Grossunternehmen als wichtige Voraussetzung

Die Schweiz hat aber auch multinationale Grossunternehmen hervorgebracht wie Roche, Nestlé oder die UBS. Solche Unternehmen sind laut Howard Yu, Professor of management and innovation an der IMD Business School in Lausanne, die Hauptantriebskraft für das Wachstum der gesamten hiesigen Industrie. Letztlich führe das zu Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und damit zu sozialer Stabilität. Diese multinationalen Unternehmen dürfe die Schweiz nicht verlieren, sonst drohe ein Verlust des Wohlstands. Denn globale Konzerne treiben Innovationen voran und werden dabei durch KMU unterstützt.

Im Zug der Digitalisierung zeigt sich, dass viele wichtige und heute grosse Player wie Google, Meta oder Open AI in Amerika entstanden sind. Die Schweiz hinkt hinterher, während die Innovationen aus dem Ausland stammen, so scheint es.

Verlust an Wohlstand droht

Dafür sieht Yu zwei Gründe. Zum einen liegt die Kompetenz hiesiger Unternehmen in der Hardware und weniger in der Software oder bei den Daten. Die grossen Wachstumsmärkte aber befinden sich gerade in den beiden letztgenannten Bereichen. Zum anderen starteten die grossen Internetunternehmen auf einer grünen Wiese. Sie wurden früh durch Risikokapital unterstützt, was in den USA strukturell einfacher ist. So gelangen Innovationen schneller aus den Hochschulen an den Markt.

Der Professor geht sogar so weit und prognostiziert einen drastischen Verlust an Wohlstand, weil sich die hiesigen Unternehmen nicht mehr ausreichend differenzieren können, und das nicht zuletzt aufgrund des regulatorischen Umfelds.

In unserem derzeitigen Wirtschaftssystem scheint Wohlstand untrennbar mit Wachstum verwoben. (Bild: Pixabay/Aristal)

Um dem entgegen zu wirken müsse die Schweizer Industrie über Europa hinauszublicken und sich an den Innovativen Zentren USA oder China orientieren. Konkret rät er Unternehmen überall Erfolge zu suchen und keinen Markt zu ignorieren, denn jeder hat seine Stärken und Schwächen. Letztlich gehe es darum, der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, und man sollte nicht warten, bis alle anderen ebenso weit sind.

Auf Regierungsebene sieht er Handlungsbedarf, um die Schweiz zu einem attraktiven Standort für Investitionen in Start-ups und Technologien zu machen. Dazu rät Yu konkret, die Bürokratie abzubauen und nicht die Fehler der anderen zu kopieren.

Exkurs in die Medienwelt

Nach diesen Aussagen scheint es fast so, als wäre das Heil allein bei Grosskonzernen zu finden, als wäre Wachstum zwingende Bedingung für Wohlstand. Dass es auch eine andere Seite gibt, zeigte ein interessanter Gastbeitrag im Tagesanzeiger. Er handelt davon, wie amerikanische Grosskonzerne im Medienbereich den Markt konzentrieren und wie mittlere und kleine Verlage immer stärker darunter leiden.

Dabei stellten die Autoren fest, dass heute drei Konzerne 80 bis 90 Prozent aller digitalen Werbeeinnhamen auf sich ziehen. Die digitalen Monopole liegen bei den bekannten Akteuren (GAFAM, also Google, Amazon, Facebook/Meta, Apple und Microsoft sowie Tiktok), die selbst, zumindest was den Medienbereich angeht, keine eigenen Inhalte produzieren sondern lediglich eine Plattform bereitstellen. Bei diesem Modell ziehen die Monopolisten zwar die Umsätze ab, übernehmen auf der anderen Seite aber keinerlei Verantwortung für die publizierten Inhalte. Fortwährende Beteuerungen, man würde jedwede Anstrengung unternehmen und Hate Speech oder Fake News filtern und löschen, bleiben vage Lippenbekenntnisse. Zu gross ist die Masse an Information und zu schnell deren digitale Verbreitung, als dass das noch irgendwie steuerbar wäre.

Ohne Regulierung geht es nicht

Doch wie konnte es so weit kommen? Die Autoren kommen zum Schluss, dass das kein Defizit der digitalen Wirklichkeit ist, sondern das zwangsläufige Ergebnis der aktuellen Fehlregulierung. Umgekehrt bedeutet das, dass es Regulierung braucht.

Die Ausarbeitung entsprechender Gesetzte zum Beispiel in Sachen Datenschutz im Zusammenhang mit Social Media ist hoch komplex. Von dieser Warte aus betrachtet ist es nur verständlich, dass das nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Jedenfalls nicht wenn Schnellschüsse vermieden werden sollen, die am Ende alles nur noch schlimmer machen.

Vielleicht ist die viel zitierte Schweizer Langsamkeit doch gar nicht so schlecht. Vielleicht sogar zwingend notwendig in einer immer schnelleren, immer komplexeren Welt. Vergleichsweise geht es der hiesigen Bevölkerung gut, trotz – oder vielleicht gerade wegen entsprechenden Regulierungen?

Thomas Meier

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