Die traditionelle manuelle Stichprobenkontrolle ist zeitaufwändig und fehleranfällig. In einem neuen Forschungsprojekt untersucht Kistler zusammen mit der OST, Ostschweizer Fachhochschule, welche Lösungen maschinelles Lernen und Automatisierung bieten können. Dr.-Ing Oliver Schnerr Head of Sales, Integrated Solutions bei Kistler erklärt, wie diese Innovationen die Zukunft der Qualitätskontrolle prägen werden.
Herr Schnerr, Sie beschäftigen sich seit 30 Jahren mit der Qualitätssicherung beim Kunststoffspritzgiessen – welche Ziele verfolgt Kistler mit dem aktuellen Forschungsprojekt?
Oliver Schnerr: Wir wollen die Möglichkeiten der Kombination der vollautomatisierten optischen Qualitätssicherung mit der klassischen Prozessüberwachung mittels Werkzeuginnendruck und der Qualitätsmodellierung mit KI-Methoden erforschen. Im Vordergrund stehen dabei die Verbesserung der Datenqualität und die kontinuierliche Optimierung der Qualitätsvorhersagen durch maschinelles Lernen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil möchten wir zeigen, wie insbesondere die Spritzgiessproduktion von diesen Innovationen profitieren kann. Durch die Automatisierung des gesamten Qualitätskontrollprozesses können wir menschliche Fehler minimieren und die Effizienz deutlich steigern.
Wie unterscheidet sich ihr Ansatz von der derzeitigen Praxis?
Schnerr: Aktuell setzen viele produzierende Unternehmen auf statistische Prozesskontrollen. Das heisst, dass Stichproben manuell entnommen und geprüft werden. Diese Methode ist sehr zeit- und personalintensiv und die Qualität der erhobenen Daten kann stark variieren, da sie von den Fähigkeiten der Prüfenden abhängt. Das ist besonders in sicherheitskritischen Bereichen wie der Medizintechnik problematisch: In diesem Bereich sind die Fehlertoleranzen sehr gering, was die Anforderungen an die Qualitätskontrolle erhöht. Eine automatisierte Stichprobenkontrolle schafft hier Abhilfe, indem sie die Datenqualität konstant auf einem hohen Niveau hält und die Prüfprozesse effizienter gestaltet.
Sie haben bereits erste Vorteile der Automatisierung der Stichprobenkontrolle erwähnt – gibt es weitere?
Schnerr: Ja, sogar mehrere: Erstens erhöht sich die Reproduzierbarkeit der Prüfergebnisse, da die automatisierten Systeme unabhängig von menschlichen Schwankungen arbeiten. Zweitens werden personelle und zeitliche Ressourcen erheblich eingespart, was besonders in Produktionen mit hohem Durchsatz und in Anbetracht des Fachkräftemangels von Vorteil ist. Drittens ermöglicht die Integration von KI eine fortlaufende Verbesserung der Qualitätsvorhersagen, da die Systeme kontinuierlich aus den erhobenen Daten lernen und sich anpassen können. Dies führt zu einer signifikanten Reduktion von Ausschuss und Nacharbeit, was wiederum Kosten spart.
Können Sie uns den beispielhaften Prüfprozess ihres Forschungsprojekts näher erläutern?
Schnerr: Unser Fertigungs- und Prüfprozess ist vollständig automatisiert. Eine Spritzgiessmaschine produziert Bauteile und versieht diese mit individuellen QR-Codes zur Nachverfolgung. Bereits während der Produktion überwacht unser Prozessüberwachungssystem ComoNeo mithilfe von Sensoren den Werkzeuginnendruck. Die Softwarefunktion ComoNeo Predict trifft mit Hilfe eines trainierten KI-Algorithmus Qualitätsvorhersagen für die einzelnen Teile. Fahrerlose Transportfahrzeuge bringen die für die Stichproben ausgewählten Teile autonom zur optischen Prüfzelle, die sich bereits in Prüfbereitschaft befindet. Dort durchlaufen sie dann ein vordefiniertes Prüfprogramm, bei dem sie auf Masshaltigkeit, Oberflächendefekte und spritzgiessspezifische Anomalien wie schwarze Stippen oder Feuchtigkeitsschlieren untersucht werden. Die Prüfzelle haben wir im Vorfeld mit entsprechend unterschiedlichen Prüfprogrammen ausgestattet. Das Prüfsystem erkennt die Bauteile und startet das entsprechende Programm.
Welche Rolle spielt dabei die Kooperation mit der OST – Ostschweizer Fachhochschule?
Schnerr: Die Zusammenarbeit mit der OST ist sehr wichtig und eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Denn die Mitglieder des Instituts bringen nicht nur ihr umfangreiches Know-how im Bereich Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung ein, sondern auch ihr hohes Engagement. Darüber hinaus unterstützen sie uns bei der Entwicklung und dem Training der KI-Modelle, die für die Qualitätsvorhersagen eingesetzt werden. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht es uns, innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl technisch als auch wirtschaftlich tragfähig sind.
Apropos Wirtschaft: Wie sehen Sie die Zukunft der Qualitätssicherung in der Spritzgiessindustrie?
Schnerr: Ich bin davon überzeugt, dass die Zukunft der Qualitätssicherung in der Spritzgiessindustrie stark von Automatisierung und maschinellem Lernen geprägt sein wird. Die Fortschritte, die wir in unserem Forschungsprojekt erzielen, zeigen bereits, wie viel Potenzial in diesen Technologien steckt. Langfristig werden automatisierte und KI-gestützte Systeme die manuelle Qualitätskontrolle weitgehend ersetzen und konsistente, zuverlässige Ergebnisse liefern. Dies wird nicht nur die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Produktion verbessern, sondern auch die Sicherheit und Zufriedenheit der Endkunden erhöhen.
Welche weiteren Schritte planen Sie, um die Ergebnisse des Forschungsprojektes in die Praxis umzusetzen?
Schnerr: Im nächsten Schritt werden die im Forschungsprojekt entwickelten Lösungen bei unseren Projektpartnern Medmix und Weidmann Medical in realen Produktionsumgebungen getestet und weiterentwickelt. Dabei arbeiten wir eng mit unseren Partnern zusammen, um die Praxistauglichkeit der Systeme sicherzustellen. Zudem planen wir, die gewonnenen Erkenntnisse in unsere bestehenden Produkte zu integrieren und neue, innovative Lösungen auf den Markt zu bringen. Unser langfristiges Ziel ist es, die Automatisierung und Digitalisierung der Qualitätssicherung in der gesamten Spritzgiessindustrie weiter voranzutreiben.