Die Fachzeitschrift für
Werkstoffe – Verarbeitung – Anwendung

Schulterschluss von Industrie und Forschung

Der Switzerland Innovation Park war Gastgeber des Forums Chemical Recycling, organisiert von der OST (Campus Buchs) gemeinsam mit der FHNW und der Empa. Nach einem ersten Workshop Ende 2024 in Buchs kamen diesmal 55 Teilnehmende vor Ort und 20 online zusammen, um Herausforderungen einer nachhaltigen Kunststoffwirtschaft im Kontext des chemischen Recyclings zu adressieren. Da das chemische Recycling in der Schweiz noch am Anfang steht, stellt das Forum einen wichtigen Schritt zur Etablierung einer technologieübergreifenden Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe dar.
Die Teilnehmenden des 'Chemical Recycling Forum': Wir können es gemeinsam schaffen". (Bilder: OST)

Der Switzerland Innovation Park war Gastgeber des Forums Chemical Recycling, organisiert von der OST (Campus Buchs) gemeinsam mit der FHNW und der Empa. Nach einem ersten Workshop Ende 2024 in Buchs kamen diesmal 55 Teilnehmende vor Ort und 20 online zusammen, um Herausforderungen einer nachhaltigen Kunststoffwirtschaft im Kontext des chemischen Recyclings zu adressieren. Da das chemische Recycling in der Schweiz noch am Anfang steht, stellt das Forum einen wichtigen Schritt zur Etablierung einer technologieübergreifenden Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe dar.

Autoren: Arno Maurer, Jens Ulmer (OST), Christian Rytka (FHNW), Tim Börner (Empa), Ruedi Wagner (Switzerland Innovation Park Ost), Marco Jaggi, Elia-Alessandro Minghetti (INOS)

Das Forum brachte führende Expertinnen und Experten aus Schweizer Chemical-Recycling-Projekten zusammen mit Fachleuten aus dem Ausland mit dem Ziel, einen intensiven Austausch zwischen Industrie, Forschung, Politik und Gesellschaft zu initiieren. Im Fokus standen drei parallele Workshops und neun Fachvorträge, die Einblicke in die wichtigsten methodischen, technischen und marktbezogenen Fragen des chemischen Recyclings gaben. Unterstützt wurde das Forum von den Schweizer Verbänden KUNSTSTOFF.swiss, INOS, InnoWay und Swiss Textiles durch Grussworte ihrer jeweiligen Vertreter und Vertreterinnen Patrick Semadeni, Marco Jaggi, Philippe Model und Nina Bachmann. ​

Grusswort durch Patrick Semadeni von KUNSTSTOFF.swiss

Ein breites Spektrum an Technologien und Anwendungen

Die Fachvorträge deckten das gesamte Technologiespektrum ab: Irina Yarulina (Sulzer Chemtech) betonte, dass die Auswahl der passenden Technologie stets von der Abfallzusammensetzung und von der Wertschöpfungskette abhängt – eine einzelne „Gewinner-Technologie“ existiert dabei nicht. Thomas Blocher (BUSS ChemTech AG) präsentierte die PyroFilm-Technologie, mit der gemischte Kunststoffabfälle kontinuierlich zu Leichtöl recycelt werden. Dr. Pelin Uran (DePoly) stellte die photokatalytische Hydrolyse vor, die auch unsortiertes PET in hochreines Neumaterial umwandelt. Ralf Schwarz (Pyrum Innovations) gab Einblicke in die Pyrolyse von Altreifen zu Rohöl und recyceltem Carbon Black.

Pelin Uran (DePoly) mit einem Vortrag über Fortschritte beim PET-Recycling

Jonas Karg (Sphera) widmete sich der Ökobilanzierung, während Martin Pillich (ETH Zürich) zeigte, wie das chemische Recycling von PU-Abfällen die Klimabelastung deutlich senken kann – bei nur moderaten Kostensteigerungen. Marco Werth (RAMPF Advanced Polymers) erläuterte das Recycling von Polyolen aus PU/PIR-Abfällen. Dr. Albert Paparo (ENESPA AG) erläuterte die Herstellung von hochwertigem Pyrolyseöl aus gemischten Kunststoffen, und Dr. Jean-Bernard Michel (Humana Consulting) thematisierte die Herausforderungen rund um Additive und Kontaminanten im Recyclingprozess.

Die begleitende Postersession präsentierte eine Reihe von Projekten wie PET-Recycling-Innovationen, molekulare Technologien für das Recycling, neue Behandlungssysteme für gemischte Siedlungsabfälle und Ansätze zur Kommerzialisierung chemisch recycelter Polyolefine. Das Institut für Mikrotechnik und Photonik der OST stellte verschiedene Ansätze für chemisches Recycling im Kontext des Kunststoff-Lebenszyklus vor, während die FHNW ein Fahrrad aus recycelten Carbonfasern präsentierte und Industrieaussteller ihre Produktportfolios zeigten.

Posterausstellung über chemische Recycling-Projekte

Workshop A: Identifikation und Überwindung von Barrieren

Im ersten Workshop wurden systematisch die Barrieren erfasst, die einer breiten Einführung des chemischen Recyclings entgegenstehen. Die Teilnehmenden identifizierten sechs Hauptkategorien: technische Hürden, Rohstoffqualität, wirtschaftliche Herausforderungen, Regulierungsfragen, ökologische Unsicherheiten sowie gesellschaftliche und kommunikative Themen.

Die Diskussion offenbarte ein komplexes Geflecht: Wirtschaftliche Machbarkeit hängt direkt von der Rohstoffqualität ab, die technische Lösungen und geeignete Regulierung erfordert. Als Schlüsselpunkte nannten die Teilnehmenden die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit von Rezyklaten, ein effizientes Rohstoffqualitätsmanagement sowie die Prozesszuverlässigkeit.

Elia Minghetti und Marco Jaggi bei der Moderation des Workshops

Lösungen fokussieren auf Menschen und Wissen

Die Workshop-Gruppe entwickelte vielfältige Lösungsansätze – mit Fokus auf Bildung, Kommunikation und Kooperation. Verbesserte schulische und berufliche Weiterbildung, die Entwicklung einheitlicher Industriestandards und die Förderung von Monomaterial-Designs sowie einer besseren End-of-Life-Trennbarkeit wurden als wesentliche Schritte benannt. Notwendig sind unterstützende Regulierungen, die nicht nur Innovation fördern, sondern auch nachhaltige Wirtschaftsmodelle ermöglichen.

Die Bezeichnung «Chemisches» Recycling scheint bei der Allgemeinheit negativ konnotiert zu sein. Die Überwindung eines solchen negativen Images wurde als ebenso wichtig erkannt wie die Notwendigkeit technischer Fortschritte. Eine enge Verzahnung von Industrie und Forschung bei der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie eine Sensibilisierung von Industrie und Konsumenten bildet den Grundstein für Akzeptanz und Marktentwicklung. Forschung und Industrie müssen sich stärker in politische Prozesse einbringen, um unterstützende regulatorische Rahmenbedingungen gemeinsam zu erarbeiten.

Workshop B: Schlüsselthemen und Forschungsbedarf

Der Forschungsworkshop definierte zentrale Wissenslücken: Dazu zählen insbesondere die maximal zulässigen Verunreinigungsgrade für gemischte Polyolefin-Fraktionen und die Entwicklung verbesserter Analytik und Sortiertechnologien. Die Differenzierung, wann mechanisches und wann chemisches Recycling sinnvoll ist, wurde als entscheidend für die prozessintegrierte Materialsteuerung angesehen.

Weitere priorisierte Forschungsfelder: Lösen und Depolymerisieren von Polyolefinen, Prozessoptimierung bei Kontaminationsproblemen, Identifikation neuer Materialien für die Depolymerisation, Design-for-Recycling-Prinzipien sowie Fragen zur Machbarkeit von Mehrschichtverpackungen. Forschungen zur Produktion von grünem Methanol, Preisdynamiken und modernen Sortierverfahren werden als grundlegende Voraussetzung für wirtschaftlich tragfähige Systeme betrachtet.

Christian Rytka (FHNW) und Tim Börner (Empa) leiten den Workshop über Forschungsbedarf.

Workshop C: Geschäftsmodelle und Marktdynamik

Der Workshop zu Geschäftsmodellen zeichnete ein ehrliches Bild der aktuellen Marktrealität. Die zentrale Erkenntnis: Niemand im Bereich des chemischen Recyclings verfügt derzeit über ein funktionierendes Geschäftsmodell; dennoch war Optimismus spürbar. Als erfolgsversprechend gelten „lokal für lokal“-Ansätze: Deponiemining und Recyclinglösungen mit sauberem Inputmaterial funktionieren aktuell besser als globale Wertschöpfungsketten, denn international sind Rezyklate kaum wettbewerbsfähig ohne Subventionen – vor allem angesichts niedriger Preise für Primärkunststoffe.

Ruedi Wagner (Switzerland Innovation Park Ost) bei der Präsentation der Ergebnisse aus dem Workshop über Geschäftsmodelle.

Erfolgsfaktoren sind Bewusstseinswandel bei Konsumenten und Investoren, die langfristig in nachhaltige Technologien investieren müssen. Die Teilnehmer betonten, dass konkurrenzfähige Innovation Zeit und substanzielle Investitionen brauchen. Europa hat dabei die Chance, neue Standards und exportierbares Know-how zu entwickeln, doch die Herausforderungen sind gross: technische Komplexität, steigende CO2-Emissionen der Primärkunststoffe, wirtschaftliche Risiken und weiter hohe Kosten für die Aufarbeitung gemischter Abfälle.

Gemeinschaft und Innovationsgeist: Die Schweiz als Innovation Hub

Die Teilnehmenden kamen überein, dass Erfolg im Bereich des chemischen Recyclings nur durch Zusammenarbeit möglich ist. Viele machten ihre Bereitschaft deutlich, gemeinsam an einer integrierten, schweizweiten Kunststoff-Recyclinganlage zu arbeiten – ein Folge-Workshop zur weiteren Entwicklung ist bereits in Planung.

Die regulatorische Dynamik, getrieben durch europäische Initiativen wie PPWR und SUPD sowie neuste Entwicklungen in der Massenbilanzierung, unterstützt den lokalen Markt, auch wenn die globale Harmonisierung noch aussteht. Die Vielfalt der präsentierten Technologien und Projekte zeigt, dass die Schweiz eine Chance hat, zu einer Innovationsdrehscheibe zu werden und internationale Massstäbe zu setzen.

Fazit: Ein Sektor am Wendepunkt

Das Forum Chemical Recycling offenbarte ein spannendes Bild: Die technische Machbarkeit ist durch zahlreiche Pilotprojekte belegt, und das Potenzial für die nachhaltige Kreislaufwirtschaft wird mittlerweile branchenübergreifend anerkannt. Die grossen Herausforderungen bleiben jedoch die wirtschaftliche Tragfähigkeit und die Entwicklung skalierbarer Geschäftsmodelle.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Bildung innovativer Ökosysteme, die alle Bereiche verbinden: Sammlung, Verarbeitung und Vermarktung, flankiert von gezielten Forschungsinvestitionen und einer aktiven Mitgestaltung des regulatorischen Rahmens. Die Koordination der Stakeholder – von Politik zu Konsumenten, von Unternehmen zu Start-ups und NGOs – führt zu einer neuen, kollaborativen Dynamik.

Die wichtigste Botschaft des Forums: „Wir können es nur gemeinsam schaffen.“ Die Teilnehmenden sehen das Forum als Auftakt für eine nachhaltige Transformation des Schweizer Kunststoffsektors durch kollektive Innovationskraft und Ausdauer. Mit neuen Initiativen wie einer integrierten Kunststoff-Recyclinganlage und der aktiven Entwicklung von Standards und Geschäftsmodellen könnte sich die Schweiz dauerhaft als Innovationszentrum etablieren. Die Frage ist nicht mehr, ob chemisches Recycling möglich ist, sondern wann das nötige Ökosystem entsteht, um es erfolgreich in den Markt zu bringen.

Kontakt

OST, Institut für Mikrotechnologie und Photonic
Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist
Werdenbergstrasse 4
CH-9471 Buchs
arno.maurer@ost.ch

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