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Branche rechnet mit weiter steigenden Preisen

Neben den hohen Rohstoffkosten machen auch die steigenden Strompreise der verarbeitenden Kunststoffindustrie das Leben schwer. Zwar ist in der Schweiz der Energieanteil des Strompreises in den vergangenen Jahren günstiger geworden, nicht so aber die anderen Komponenten des Strompreises. Sowohl Steuern, Netznutzungsgebühren wie auch Förderabgaben steigen laufend an.
Symbolbild Industriestrom
In den offiziellen Statistiken der EU und der Schweiz gehört unser Land in puncto Strompreis zu den teuren Standorten. (Bild: adpic)

Neben den hohen Rohstoffkosten machen auch die steigenden Strompreise der verarbeitenden Kunststoffindustrie das Leben schwer. Zwar ist in der Schweiz der Energieanteil des Strompreises in den vergangenen Jahren günstiger geworden, nicht so die anderen Komponenten des Strompreises. Sowohl Steuern, Netznutzungsgebühren wie auch Förderabgaben steigen laufend an.

Von Marianne Flury

n der energiepolitischen Diskussion ist wiederholt von relativ günstigen Schweizer Strompreisen zu hören. Auf welcher Basis solche Aussagen beruhen, kann nicht immer nachvollzogen werden. In den offiziellen Statistiken der EU und der Schweiz gehört unser Land zu den teuren Standorten. Die Preise für KMU, mittelgrosse Industrieunternehmen und Grossverbraucher befinden sich regelmässig im oberen Drittel des Preisvergleichs. Das belegen auch die Grafiken. Vergleicht man die Strompreise beispielsweise mit Skandinavien, wo der Strom wie hierzulande mit Wasser- und Kernkraft produziert wird, stellt man einen signifikanten Unterschied fest. Teurer als in der Schweiz ist der Strom nur noch in Ländern, die entweder wie Deutschland hohe Förderabgaben haben oder teure fossil betriebene Kraftwerke, wie beispielsweise Italien.

Die Entwicklung der Industriestrompreise in der Schweiz war seit 2005, ausgehend von einem hohen Niveau, bis 2013 tendenziell leicht rückläufig. Seither steigen die Preise wieder: Industriestrom von 14,3 (2013) auf 15,4 Rappen pro kWh (2020), Strom für KMU von 18,4 (2013) auf 19,7 Rp./kWh (2020). Dies bedeutet im europäischen Vergleich eine Rangverschiebung von Platz 10 auf Platz 4, resp. von Rang 7 auf Rang 2. Für die Grossverbraucher ist der Energiepreis in der Schweiz über die Jahre (Periode 2013-2020) quasi konstant bei 11,1 Rp./kWh verharrt. Im europäischen Vergleich rutschte die Schweiz aber von Platz 8 (2013) auf Platz 3 vor, hinter UK (14 Rp./kWh) und dem fast gleichauf platzierten Deutschland (11,5 Rp./kWh). So richtig ab gehen die Strompreise aber seit 2020 und 2021. Da geben Unternehmen an, dass sich der Strompreis verdoppelt, wenn nicht verdreifacht habe.

Die Grafiken zeigen einen Vergleich der Strompreise für KMU, mittlere Industrieunternehmen und Grossverbraucher. Der Preis setzt sich zusammen aus Energie, Netz und Abgaben, aber ohne MwSt. und erstattungsfähigen Steuern bzw. Abgaben.

Im europäischen Vergleich haben sich die Strompreise nicht zum Vorteil für KMU in der Schweiz entwickelt. Mittlerweile sind sie sogar im sonst teuren Italien günstiger geworden.

Bemerkenswert bei allen drei Kundensegmenten – KMU, Industrie, Grossverbraucher – ist die Tatsache, dass es weniger die Preisentwicklung in der Schweiz ist, die zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit führt, sondern die Tatsache, dass Wettbewerb und regulatorische Eingriffe in den Nachbarstaten v.a. für Grossverbraucher zu kompetitiveren Strompreisen geführt haben.

Energieeffiziente Massnahmen helfen

Viele Schweizer Unternehmen schauen der Preisentwicklung nicht untätig zu. Um  konkurrenzfähig zu bleiben, haben sie in energieeffizientere Prozesse investiert und alte Maschinen und Peripheriegeräte durch neue Maschinen, mit einem geringeren Stromverbrauch, ersetzt. Manche haben auch auf langfristige Lieferkontrakte mit Stromanbietern gesetzt. So sagt etwa Peter Birchler, Geschäftsleiter der Silac AG in Euthal: «Wir haben zum Glück noch einen Kontrakt bis Ende Jahr. Ich habe aber von mehreren Firmen aus der Region Einsiedeln und Zürich erfahren, dass der Strompreis sich von 2021 auf 2022 verdoppelt oder verdreifacht hat.» Gegensteuer gibt Silac mit der Investition in stromeffizientere Maschinen, die alte Maschinen ersetzten. Zudem entlastet eine PV-Anlage auf dem Erweiterungsbau das Budget für den Strom aus dem Netz. «Aber die komplexen Anwendungen benötigen immer mehr Peripherie (Kühlgeräte, Trockner, Roboter), so dass halt trotzdem viel Energie benötigt wird», so Birchler weiter.

Auch wenn die Strompreise nur einen marginalen Anteil auf der Kostenseite ausmachen, hat sich auch Emaform AG, Gontenschwil, auf die veränderte Energiesituation eingestellt. Der Strombedarf des Zulieferers von Kunststoffgehäusen und technischen Formteilen aus Polyurethan entsteht primär durch Hydraulik-
aggregate und andere Motoren und weniger durch elektrische Heizungen für seine Prozesse. «Da ein gewichtiger Anteil (58 %) der Stromkosten aus Netznutzung und Abgaben besteht, wirken sich Energiepreisaufschläge nicht im gleichen Mass auf den gesamten Energiepreis aus», legt Jürg Fischer dar. «Ein Vergleich zwischen 2014 und 2022 zeigt sogar eine leichte Senkung des Energiepreises pro kWh, was aber sicher auch damit zu tun hat, dass wir aktuell einen Mehrjahresvertrag haben, welcher uns (noch) günstige Energiekosten beschert», so der Geschäftsführer weiter. Im Rahmen der Energiestrategie 2050 habe Emaform eine Zielvereinbarung zur Reduktion von Energie und CO2 unterzeichnen müssen. Darin werden verschiedene Massnahmen definiert, um die Ziele zu erreichen. Unter anderem Leuchtmittel-ersatz durch LED, Gebäudeisolation, Wechsel von Motoren auf IE3 oder IE4. Der elektrische Energieverbrauch habe über die letzten 10 Jahre trotz Steigerung der Produktion leicht abgenommen. Insbesondere der Wechsel von alten Anlagen auf neue, mit frequenzgesteuerten Hy-draulik-Antrieben mache sich jeweils deutlich bemerkbar – auch bei den Spitzenleistungen. 

Für die Wild & Küpfer AG ist mit den gestiegenen Stromkosten das Thema ebenfalls stärker ins Zentrum gerückt. «Die letzten Jahre waren die Preise plus/minus immer etwa konstant und stiegen erst in den letzten Monaten stark an», bestätigt Tobias Wild. «Für das Jahr 2022 werden die Gesamtenergiekosten (Strompreise, Netznutzung, Abgaben, usw.) ca. 30 % höher im Vergleich zu 2021 sein und in den Folgejahren ist nochmals mit einem Anstieg zu rechnen», erwartet der Geschäftsführer. Das Familienunternehmen in Schmerikon hat das Thema Strompreise aber nicht erst seit den jüngsten Preiserhöungen im Blick. «Wild & Küpfer war schon immer sehr bestrebt, auf neuste Technologien zu setzen, um effiziente Prozesse zu erzielen und eine optimale Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Dies werden wir auch in Zukunft mit starkem Fokus tun», so Tobias Wild. So hat das Unternehmen in den letzten Jahren die Gebäudeinfrastruktur stark erneuert und beispielsweise PV-Anlagen installiert, alle Beleuchtungen auf LED gewechselt und Energiepfähle im Neubau für die Energierückgewinnung eingesetzt. «Auch aufgrund der Umweltzertifizierung 14001 sind wir permanent bestrebt, uns zu optimieren und den ökologischen Gedanken zu vertiefen. Wenn dies dann auch die Wirtschaftlichkeit verbessert, umso besser», erklärt Tobias Wild die Strategie. 

Mit ihren energieintensiven Prozessen zur Herstellung von Hochleistungspolymeren ist auch die Ems-Chemie von den steigenden Strompreisen stark betroffen. «Der Strommarkt für grosse Bezüger ist ein globaler Markt, der zur Zeit unterversorgt ist. Die Stromproduktion weltweit und in Europa stammt zum grössten Teil aus fossilen Energieträgern, weshalb die Strompreise durch deren Preise geprägt werden. Strom ist für die Ems-Chemie ein sehr kritischer Rohstoff (Versorgung der Produktionsprozesse) und kostenrelevant», gibt Dr. Marc Ehrensperger, Generalsekretär der Ems-Chemie Holding AG, Auskunft. Gegensteuer gibt das Unternehmen seit Jahren mit kontinuierlichen Investitionen in innovative Energiekonzepte. «Seit 2001 konnten wir den Stromverbrauch um 72 % reduzieren. Weitere Reduktionsprogramme laufen», bekräftigt Ehrensperger. Ems ist bereits heute weltweit an allen Standorten CO2-neutral. Mit der Inbetriebnahme des Biomassekraftwerkes auf dem Werkplatz in Domat/Ems konnte das Unternehmen bereits 2006 den CO2-Ausstoss um über 85 % reduzieren. «Wenn Ems die CO2-Einsparungen der gewichtsreduzierenden Gesamtlösungen mit Spezialkunststoffen, die sie mit ihren Kunden entwickelt, mitberücksichtigen würde, wäre die CO2-Bilanz sogar stark negativ», so Ehrensperger.

Andere Länder, andere Regularien

In Italien ist der Preis traditionell hoch, aufgrund der starken Abhängigkeit von Importen und dem grossen Anteil an Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Allerdings hat sich hier einiges zu Gunsten der Industrie bewegt. Industrie und v.a. Grossverbraucher profitieren von günstigeren Preisen.

In Frankreich ist der Preis traditionell tief, aufgrund des staatlich regulierten Preises und dem hohen Anteil an Kernenergie.

Deutschland weist einen hohen Anteil an kohlebasierter Stromproduktion auf. Der Preis für Kohle und CO2-Zertifikate hat deshalb einen massgebenden Einfluss auf den Strompreis. Mit dem starken Ausbau der Förderung erneuerbarer Energien sind aber auch die Abgaben auf dem Stromverbrauch massiv gestiegen. Innerhalb von wenigen Jahren sind die Stromkosten für die Industrie deshalb zu den höchsten in Europa aufgerückt, wobei Grossverbraucher von gezielten Entlastungen profitieren.

Die Strompreise in Österreich sind deutlich attraktiver geworden und befinden sich mittlerweile – zumindest für KMU – beinahe auf dem Niveau von Frankreich.

Energie und Rohstoffkosten gefährden Produktion

Entsprechend der Industriestromentwicklung in Deutschland schlägt auch die IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. Alarm. Für 2022 rechnet die Branche mit einem weiteren starken Anstieg der Stromkosten um 28 %. Zahlreiche Unternehmen sehen sich durch diese Entwicklung in ihrer Existenz bedroht. Die Branche ruft die neue Bundesregierung zu dringenden Entlastungen auf.

Einer aktuellen Umfrage der IK unter ihren Mitgliedern zufolge kostete Industriestrom die Hersteller von Kunststoff-Folien und -Verpackungen im vergangenen Jahr im Mittel 16,7 Cent/kWh. Für 2022 rechnet die Branche mit einem weiteren Anstieg auf im Mittel 21,4 Cent/kWh. «Die dramatisch gestiegenen Strom- und Gaskosten sind für viele unserer Mitgliedsunternehmen existenzbedrohend», warnt Dr. Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, auch mit Blick auf ausländische Wettbewerber. «Jährliche Steigerungen der Stromkostenintensität von über 25 % sind auch für kerngesunde Unternehmen auf Dauer nicht tragbar. Bereits heute müssen 27 % unserer Mitglieder Aufträge aus Kostengründen ablehnen. Hier geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern schlicht um kostendeckende Produktionen.» Eine Weitergabe der hohen Kosten an die Kunden gelinge zumeist nur teilweise.

Engelmann appelliert an die neue Bundesregierung, dass sie angesichts der Energiepreis-Explosion nicht die Augen vor den wirtschaftlichen Folgen verschliessen dürfe. Die EU-Kommission habe erst vor wenigen Wochen klargestellt, dass die Hersteller von Folien und Verpackungen aus Kunststoff signifikant vom Carbon-Leakage-Risiko betroffen seien. «Die Bundesregierung sollte daher schnellst möglich den Spielraum nutzen und Regelungen zum Schutz der heimischen Industrie vor zu hohen Energiepreisen auf den Weg bringen», so Engelmann.

Hoher Kostendruck verhindert Investitionen

Die hohen Energiepreise sind auch der wichtigste Grund dafür, warum teilweise Investitionen in energieeffizientere Produktionsprozesse und einen höheren Rezyklateinsatz auf Eis gelegt werden. «Der hohe Kostendruck führt zu schrumpfenden Margen. Damit haben viele Unternehmen schlicht keine Mittel mehr für die dringend benötigten Investitionen in Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft», kritisiert Engelmann. 

Die Versorgung mit Kunststoffen ist in der Branche nach wie vor sehr angespannt: 43 % der befragten Unternehmen schätzten die Situation im Dezember 2021 als schlecht oder sehr schlecht ein. 29 % erwarten sogar eine weitere Verschlechterung im ersten Quartal 2022. Das hat Auswirkungen auf die Produktion der Unternehmen: 32 % berichten von Einschränkungen bei der Lieferfähigkeit in mittlerem oder erheblichem Umfang.

GGS Gruppe Grosser Stromkunden, https://stromkunden.ch/

IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V., https://kunststoffverpackungen.de/

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