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Nachhaltigkeit messen und berichten

Das Thema «Nachhaltigkeit» ist in der Kunststoffindustrie allgegenwertig. Zunehmend gewinnt dabei auch die Berechnung und Darstellung des tatsächlichen Effekts der gesetzten Massnahmen sowie das Aufzeigen einer langfristigen Strategie von Bedeutung. Beide Aspekte sind entscheidend, um nachhaltige Fortschritte zu erzielen und die Zukunft der Branche positiv zu gestalten.
Nachhaltigkeit muss messbar und vergleichbar sein. (Bild: Adpic)

Das Thema «Nachhaltigkeit» ist in der Kunststoffindustrie allgegenwertig. Zunehmend gewinnt dabei auch die Berechnung und Darstellung des tatsächlichen Effekts der gesetzten Massnahmen sowie das Aufzeigen einer langfristigen Strategie an Bedeutung. Beide Aspekte sind entscheidend, um nachhaltige Fortschritte zu erzielen und die Zukunft der Branche positiv zu gestalten.

Autoren: Prof. Daniel Schwendemann, Johanna Klobasa, beide IWK Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung, OST Ostschweizer Fachhochschule

Kunststoffe haben in der Gesellschaft ein zwiespältiges Ansehen. Für die meisten Menschen ist klar, dass Kunststoffe in vielen Bereichen wie z.B. Medizin oder Mobilität unverzichtbar sind. Gleichzeitig sind die Probleme, die durch unsachgemässe Handhabung und insbesondere Entsorgung von Kunststoffen entstehen, sehr präsent.

Die Akteure der Kunststoffindustrie sind sich der Situation bewusst, Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema der Geschäftstätigkeit und die Initiativen in den Unternehmen sind vielfältig. Oftmals stellt sich jedoch die Frage wie der Einfluss der gesetzten Massnahmen gemessen und dargestellt werden kann. Im Folgenden werden daher einige Möglichkeiten zur Bewertung und Ausweisung von Nachhaltigkeitsmassnahmen sowie Projekten dazu am IWK näher vorgestellt.

Wie gross ist der Impact?

Bei der Anpassung des Produktdesigns, der Umstellung auf nachhaltigere Materialien oder der Etablierung eines neuen Recyclingkreislaufs, stellt sich oftmals die Frage, welchen (hoffentlich positiven) Effekt diese Massnahmen denn nun tatsächlich haben. Zwei der etabliertesten Methoden, um die Effekte der gesetzten Massnahmen zu quantifizieren, sind die Ökobilanz und der CO2-Fussabdruck. Beide Methoden basieren auf Standards der ISO 14000 Umweltmanagement-Familie und können eingesetzt werden, um die potenziellen Umweltauswirkungen von Produkten und Prozessen zu bestimmen und miteinander zu vergleichen. Der Unterschied zwischen Ökobilanz und CO2-Fussabdruck liegt in der Anzahl der berücksichtigten Wirkungskategorien. Eine Wirkungskategorie repräsentiert ein spezifisches Umweltproblem, wie zum Beispiel die Klimaerwärmung durch Treibhausgase, die Eutrophierung von Gewässern durch übermässige Düngung oder die Erschöpfung von natürlichen Ressourcen wie Wasser oder Land usw. Die Unterschiede zwischen CO2-Fussabdruck und Ökobilanz sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1: Gegenüberstellung Ökobilanz und CO2-Fussabdruck

Ein zentraler Punkt bei der Umweltbilanzierung ist die Vergleichbarkeit. Obwohl die ISO14040/44 bzw. 14067 das Rahmenwerk vorgeben, müssen bei der Durchführung viele Entscheidungen getroffen werden, die den Vergleich mit anderen Bilanzen erschweren. Dazu gehören zum Beispiel die Wahl der funktionellen Einheit, also die Grösse, auf welche die Berechnungen bezogen werden, oder die Festlegung der Systemgrenzen, die bestimmen, welche Prozesse in die Berechnung miteinfliessen und welche nicht.

Eine Initiative der Europäischen Union, die versucht diesem Problem entgegenzuwirken und die Durchführung von Ökobilanzen zunehmend zu standardisieren, ist der «Product Environmental Footprint» (PEF). Neben Richtlinien für die Wahl von Systemgrenzen und Modellierung des End-of-Lifes, enthält der PEF auch produktspezifische «Category Rules».  Ein weiterer Bestandteil ist die «Circular Footprint Formular» (CFF), eine standardisierte Methode zur Berechnung von Umweltauswirkungen im Zusammenhang mit der Materialzirkularität von Produkten.

Am IWK wird Ökobilanzierung projektbegleitend eingesetzt, um den Effekt der gesetzten Massnahmen auf die Umweltauswirkungen von Produkten zu berechnen und bei Bedarf gegensteuern zu können. Zwei Beispiele von Fragestellungen, die in Projekten aufgetreten sind, bei denen Ökobilanzierung und CO2-Fussabdruck-Berechnungen erfolgreich eingesetzt wurden, sind im Folgenden dargestellt:

Entwicklung eines biobasierten, wasserabweisenden Coatings

  • Welche pflanzlichen Rohstoffe, die für die Herstellung von Kunststoffen eingesetzt werden können, haben den besten CO2-Fussabdruck? Welche Faktoren haben dabei den grössten Einfluss?
  • Welche Wirkungskategorien sollten neben dem CO2-Fussabdruck bei biobasierten Kunststoffen berücksichtigt werden?
  • Wie können die potenziellen Langzeiteffekte von Chemikalien in der Ökobilanz berücksichtigt werden?

Aufbau eines Recyclingkreislaufs für Textilien

  • Welche Modellierung des Recyclingprozesses ist am besten für den spezifischen Anwendungsfall geeignet?
  • Wie können Prozesse mit unterschiedlichem TRL (Technology Readiness Level) verglichen werden?
  • Welche Datenquellen können herangezogen werden (Literatur, Datenbanken, Hersteller)? Wie müssen Datenlücken dokumentiert und kommuniziert werden?

Wo geht die Reise hin?

Für Kunden, aber auch Gesetzgeber, sind oftmals nicht nur die kurzfristigen Ziele, sondern besonders die langfristige Strategie hinsichtlich Nachhaltigkeit relevant. Der Nachhaltigkeitsbericht ermöglicht transparent und vergleichbar über den Status-Quo sowie das weitere Vorgehen zu berichten.

Vom Gesetz her ist zum jetzigen Zeitpunkt nur eine sehr kleine Anzahl an Firmen zur Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts verpflichtet. Jedoch ist sowohl auf EU- als auch auf Schweizer-Ebene geplant, die Berichtspflicht kontinuierlich auszubauen. Die Schweiz, wo die Berichtspflicht derzeit über das Obligationenrecht geregelt ist, möchte sich dabei an den Berichtsstandard der Corporate Sustainability Directive (CSRD) der EU annähern (Bild 1).

Bild 1: CSRD-Timeline Europäische Union (Grafik: IWK)

Obwohl die meisten Firmen also heutzutage noch keiner direkten Berichtspflicht unterliegen, sind viele schon indirekt durch die Lieferkette von der Thematik betroffen oder bekommen von Kunden Anfragen zum Thema Nachhaltigkeitsbericht. In jedem Fall bietet der Nachhaltigkeitsbericht einen guten Ausgangspunkt für den Aufbau eines innerbetrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements sowie die Möglichkeit, Strategien und Ziele aufzuzeigen und über den Status-Quo transparent zu berichten. Im Vergleich zu Ökobilanz und CO2-Fussabdruck-Berechnungen, berücksichtigt der Nachhaltigkeitsbericht nicht nur die Umweltdimensionen der Nachhaltigkeit, sondern auch soziale und Governance-Aspekte. Während in der Schweiz der Berichtsstandard derzeit noch frei wählbar ist, legt in der EU der «European Sustainability Reporting Standard» (ESRS) fest, welche Bereiche im Nachhaltigkeitsbericht behandelt werden müssen.

Neben dem ESRS gibt es aber auch noch weitere Initiativen, die bei der Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts sowie der Definition von Zielen unterstützen. Die «Global Reporting Initiative» (GRI) ist eine unabhängige Organisation, die sich weltweit für die Vereinheitlichung der Nachhaltigkeitsberichterstattung einsetzt und entsprechende Standards bereitstellt. Das «Greenhouse Gas Protocol» bietet eine standardisierte Methodik zur Erfassung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen, einem zentralen Bestandteil des Nachhaltigkeitsberichts. Dabei werden sowohl direkt als auch indirekte Emissionen erfasst und in Scopes unterteilt (Bild 2). Weiters unterstützt die «Science Based Target Initiative” Unternehmen bei der Erstellung wissenschaftlich fundierter Klimaziele im Einklang mit dem Pariser Abkommen.

Bild 2: Emissionskategorien nach dem Greenhouse Gas Protocol (Source: Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima)

Gemeinsam voran gehen

Nachhaltigkeit ist seit vielen Jahren ein zentraler Bestandteil der Projekte am IWK – sei es bei der Integration von «Design for Recycling» im Entwicklungsprozess, der Entwicklung neuer Materialien und Prozesse, Recycling von Kunst- und Verbundwerkstoffen und vielem mehr. Mit dem Angebot projektbegleitender Ökobilanz gibt es nun die Möglichkeit die tatsächlichen Umweltauswirkungen von Projekten präzise zu berechnen, zu vergleichen und bei Bedarf gezielt gegenzusteuern.

Kontakt

IWK Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung
OST Ostschweizer Fachhochschule
Prof. Daniel Schwendemann
CH-8640 Rapperswil-Jona
daniel.schwendemann@ost.ch
www.ost.ch/iwk

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