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Medizintechnik legt Fokus auf Nachhaltigkeit

Die Kunststoffberatungsunternehmen Gradical (CH) und Polyneers (DE) haben gemeinsam mit dem Strategieberatungsunternehmen Strategist Network (CH) während eines Jahres einen Medical Grade Plastic Marketreport erarbeitet. Der Marktbericht mit Fokus auf dem Nachhaltigkeitstrend in der Medizintechnik wird ab Herbst 2024 bei den drei Kollaborationspartnern zur Verfügung stehen. Rund 60 Hersteller von Medical Grades wurden im Bericht verglichen und Markttrends wie Nachhaltigkeit und die regulatorische Entwicklung analysiert.
Biovox Medical Grade PLA aus nachwachsenden Rohstoffen ist eines der wenigen Medical Grades mit garantiertem physischem Bioanteil. (Bilder: Gradical)

Die Kunststoffberatungsunternehmen Gradical (CH) und Polyneers (DE) haben gemeinsam mit dem Strategieberatungsunternehmen Strategist Network (CH) während eines Jahres einen Medical Grade Plastic Marketreport erarbeitet. Der Marktbericht mit Fokus auf dem Nachhaltigkeitstrend in der Medizintechnik wird ab Herbst 2024 bei den drei Kollaborationspartnern zur Verfügung stehen. Rund 60 Hersteller von Medical Grades wurden im Bericht verglichen und Markttrends wie Nachhaltigkeit und die regulatorische Entwicklung analysiert.

Von Lucas R. Pianegonda, Geschäftsführer der Gradical GmbH, Loredana Pianegonda, Co-Autorin

Der kurz vor der Veröffentlichung stehende Marktbericht von Gradical, Polyneers und Strategist Network setzt sich mit Kunststoffen für die Medizintechnik auseinander. Er untersucht die Marktgrösse und Entwicklung aller Thermoplaste, die nach der VDI-Richtlinie 2017 als Medical Grade Plastics eingestuft werden können. Im Marktbericht wird die Angebotspalette von rund 60 Medical-Grade-Plastics-Herstellern bewertet und miteinander verglichen. Um der Wichtigkeit des Nachhaltigkeitstrends Rechnung zu tragen, haben die Autoren diesem Thema ein eigenes Kapitel eingeräumt.

Bei der Erhebung des Marktberichtes wurde in einem Triangulationsverfahren auf mehrere Methoden zurückgegriffen. Bei der Recherche wurden Presse- und wissenschaftliche Artikel analysiert. Die Ergebnisse des Marketreports beruhen ausserdem auf Experteninterviews sowie Daten von Herstellern und Krankenhäusern.

Die Hälfte des Marktes reduziert freiwillig CO2-Ausstoss

Unter Nachhaltigkeit wird ein bewusster Umgang mit den auf der Welt nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen verstanden. Mit der Entwicklung des Nachhaltigkeitstrends in den vergangenen Jahren sind Kunststoffe in den Verruf geraten, weil für deren Herstellung fossile Rohstoffe verwendet werden. Die Kunststoffbranche befindet sich im Umbruch, und damit ist auch die Medizintechnik unter Druck. Eine Analyse der 100 umsatzstärksten Medizintechnikfirmen zeigt, dass sich bereits 40 Prozent für die Science-Based-Targets-Initiative verpflichtet haben. Diese Unternehmen erwirtschafteten im Jahr 2023 gemeinsam 300 Mrd. USD. Die Marktgrösse für Medizinprodukte betrug im selben Jahr circa 500 bis 600 Mrd. USD. Das bedeutet also, dass sich bereits die Hälfte des Marktes freiwillig dazu verpflichtet hat, den CO2-Ausstoss zu reduzieren.

Zu den treibenden Kräften für den Nachhaltigkeitstrend in der Kunststoffbranche gehört die Politik. Ein Beispiel aus der Politk ist der Green Deal der EU vom Dezember 2019. Diesem Massnahmenpaket unterliegt eine grosse Anzahl an Gesetzen, die den CO2-Ausstoss reduzieren und die Nachhaltigkeit verbessern sollen. Ein weiterer Anreiz sind die ESG-Kriterien bei der Kreditvergabe. Wer nachhaltig ist, bekommt oft bessere Kreditkonditionen. Letzten Endes sind es aber auch die Einkäufer, welche die Nachfrage nach nachhaltigen Materialien beeinflussen. Die Marktanalyse zeigt zum Beispiel, dass nordische Krankenhäuser beim Einkauf ihrer Medizinprodukte mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen.

Scope 3-Wert mit richtiger Kunststoffwahl verbessern

Im Durchschnitt werden 80 bis 90 Prozent des CO2-Fussabdrucks einer Medizintechnikfirma durch das sogenannte Scope 3 (Emissionen der Lieferanten, eingesetzte Materialien etc.) verursacht. Dieser Wert lässt sich mit einer gut durchdachten Kunststoffauswahl massiv beeinflussen. Denn rund 80 Prozent des CO2-Fussabdruckes wird während der Entwicklungsphase eines Produktes festgelegt. Wie ökologisch ein Material oder ein Produkt ist, kann im Übrigen mit einem Life Cycle Assessment (LCA) gemessen werden. Bei dieser Methode werden alle Prozesse und Inputs für die Herstellung eines Produktes zusammengetragen und anschliessend auf ihren Umwelteinfluss bewertet. Zu den Bewertungskriterien zählen beispielsweise die Polymerisationsenergie oder der Materialtransport.

Biokunststoffe versus Recyclingkunststoffe

Medizintechnikfirmen können also ihre Nachhaltigkeit verbessern, indem sie beim Kunststoff eine kluge Wahl treffen. Eine mögliche Lösung wäre der Einsatz von nachhaltigen Kunststoffen.

Nachhaltige Kunststoffe werden in Biokunststoffe und Recyclingkunststoffe unterteilt. Bei den Biokunststoffen wiederum unterscheidet man zwischen bioabbaubaren und biobasierten Kunststoffen. Die Vorteile von bioabbaubaren Kunststoffen können bei medizinischem Abfall aber kaum genutzt werden, weshalb sie in der Medizintechnik keine breite Anwendung finden. Biobasierte Kunststoffe schneiden besser ab: Sie verringern den CO2-Fussabruck, weil sie bei der Herstellung über die Fotosynthese CO2 aus der Atmosphäre binden. Kunststoffe, die aus Nahrungsmitteln wie Mais oder Zuckerrohr hergestellt werden, weisen aber einen höheren Land- und Wasserverbrauch auf. Diese Nachteile haben die sogenannten biozirkulären Kunststoffe aus biologischem Abfall nicht. Deshalb finden biozirkuläre Kunststoffe bereits Anwendung in der Medizintechnik.

Bei den Recyclingkunststoffen unterscheidet man zwischen der Abfallherkunft und der Recyclingmethode. Bei der Abfallherkunft spricht man entweder von «Abfall vor Gebrauch» (Post Industrial Recycling = PIR) oder von «Abfall nach Gebrauch» (Post Consumer Recycling = PCR). Recyclingmethoden gibt es eine Vielzahl, die sich grob in mechanisches, lösungsmittelbasiertes und chemisches Recycling einteilen lässt.

Das Massenbilanzverfahren in der Medizintechnik

Aktuell wird in der Medizintechnik hauptsächlich biobasierter Kunststoff eingesetzt, der dieselben chemischen Eigenschaften hat wie fossilbasierte Kunststoffe (zum Beispiel bio-PE). Verwendet ein Medizintechnikunternehmen bei der Herstellung seines Produktes einen biobasierten Kunststoff, kommt oft das Massenbilanzverfahren zum Einsatz. Mit der Massenbilanz kann ein Unternehmen unter Aufsicht eines Zertifizierungsschemas (beispielsweise ISCC-PLUS) Bioanteile flexibel an seine Produkte vergeben und somit biobasierte und fossilbasierte Kunststoffe miteinander mischen. Das funktioniert analog zum grünen Strom. Auch hier kann nicht garantiert werden, dass der aktuell bezogene Strom «grün» ist, sondern nur, dass im System mindestens die Menge an grünem Strom produziert wird, die zertifiziert worden ist. Dank der Massenbilanz-Strategie können Kunststoffproduzenten biobasierte, fossilbasierte und chemisch-recycelte Ausgangsstoffe in derselben Anlage und zur selben Zeit verarbeiten. Diese nachhaltigen Kunststoffe lassen sich viel leichter in bestehende Lieferketten einbauen und bringen den Vorteil, dass keine Produkte revalidiert werden müssen.

Regulatorische Anforderungen belasten Unternehmen

Bei der Verwendung von nachhaltigen Kunststoffen für die Herstellung von Medizinprodukten müssen auch die regulatorischen Anforderungen berücksichtig werden. In Europa haben sich diese in den vergangenen Jahren massiv verschärft. Denn mit der MDR (Medical Device Regulation, Medizinprodukteverordnung) der EU sind zusätzliche Anforderungen an die Medizinprodukte in Kraft getreten.  Die MDR hat viele Medizintechnikunternehmen vor Herausforderungen gestellt. Der Bedarf an Regulatory-Affairs-Fachpersonal ist stark angestiegen, und es herrscht Fachkräftemangel. 

Für weitere Herausforderungen sorgen ausserdem Chemiekalienregulierungen wie REACH, die laufend um zusätzliche Verbote und Auflagen ergänzt werden. Diese schwierige Ausgangslage führt zu einer gehemmten Innovationskraft in Europa, die viele europäische Medizintechnikunternehmen dazu bringt, mit einer Erstzulassung in den USA zu liebäugeln.

Heine AllSpec Einweg-Tips für die Otoskopie aus 100% PCR ist eine der ersten mittels mechanischem Recycling hergestellten Anwendungen im direkten Patientenkontakt.

Sicher und gleichzeitig nachhaltig

Jetzt stellt sich die Frage, ob sich hier ein Spannungsfeld zwischen der steigenden Forderung nach mehr Nachhaltigkeit und den hohen regulatorischen Anforderungen an Medizinprodukten auftut? Medizingeräte müssen sicher und leistungsfähig sein. Solange nachhaltige Produkte diese Forderung erfüllen, gibt es keinen Konflikt. Für die Zulassung eines Produktes ist eine sorgfältige Umsetzung des Qualitäts- und Risikomanagements nötig. Dabei gilt es auch das Einsatzgebiet des Produktes zu beachten. Eine Krücke kann beispielsweise problemlos mit einem mechanischen Rezyklat produziert werden und die gleichen Sicherheitsanforderungen wie eine aus Neuware erfüllen. Bei Implantaten sieht das schon wieder ganz anders aus: Hier trauen sich nur die wenigsten Neuware-Hersteller ihre Kunststoffe für langzeitige Implantation zu empfehlen. Nichtsdestotrotz gibt es bereits die ersten Anwendungen für Produkte mit direktem Körperkontakt, die aus mechanischem Rezyklat hergestellt worden sind, wie zum Beispiel ein Otoskoptyp aus rPS (siehe Bild). Dieses Anwendungsbeispiel zeigt nicht nur, dass die Medizintechnik den Fokus klar auf Nachhaltigkeit legt, sondern auch, dass der Einsatz von Rezyklaten ein grosses Potenzial aufweist.

Kontakt

Gradical GmbH
CH-7402 Bonaduz
+41 79 910 50 00
www.gradical.ch

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