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Werkstoffe – Verarbeitung – Anwendung

Future Skills für die Kunststoffbranche

Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit verändern die Kunststofftechnik rasant. Wer künftig erfolgreich produzieren will, braucht mehr als Fachwissen: Kunststofftechnologen/innen werden zu vernetzten Mitgestaltenden – mit Systemkompetenz, Problemlösungsfähigkeit, Innovationskraft und Nachhaltigkeitsbewusstsein.
Lernende Kunststofftechnologen programmieren einen kollaborativen Roboter in der Smart Learning Factory des KATZ. Praxisnah erwerben sie digitale und interdisziplinäre Future Skills. (Bilder: KATZ)

Digitalisierung, Automatisierung und Nachhaltigkeit verändern die Kunststofftechnik rasant. Wer künftig erfolgreich produzieren will, braucht mehr als Fachwissen: Kunststofftechnologen/innen werden zu vernetzten Mitgestaltenden – mit Systemkompetenz, Problemlösungsfähigkeit, Innovationskraft und Nachhaltigkeitsbewusstsein.

Autoren: Dr. Rémy Stoll, Geschäftsführer KATZ, MSc Fabian Schadt, Projektleiter KATZ

Der Wandel von Technologie und Wissen ermöglicht es Kunststofftechnologinnen und Kunststofftechnologen, bei der Produkt- und Verfahrensentwicklung eine immer zentralere Rolle einzunehmen. Voraussetzung dafür ist der frühzeitige Erwerb sogenannter Future Skills – darunter Systemkompetenz, Problemlösungsfähigkeit, Innovationskraft und Nachhaltigkeitskompetenz. Diese Fähigkeiten erweitern das klassische Verständnis beruflicher Handlungskompetenz und machen Fachkräfte zu wichtigen Akteuren in der Transformation der Industrie.

Future Skills sind nicht nur individuelle Eigenschaften, sondern bilden den Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit einer ganzen Branche. Sie erlauben es Fachkräften, in einer digital vernetzten, nachhaltigen und innovationsgetriebenen Arbeitswelt selbstorganisiert und verantwortungsvoll zu handeln.

Kunststofftechnik wird komplexer

Die Kunststoffbranche in der Schweiz bewegt sich von der klassischen Formteilefertigung hin zu hoch spezialisierten Anwendungen. Neue Werkstoffe, steigende Anforderungen an Qualität, Validierung und Rückverfolgbarkeit sowie die Integration in komplexe Baugruppen verlangen ein tieferes Prozessverständnis.

Kunststofftechnologen müssen heute Produktions-, Prüf- und Dokumentationsprozesse als Gesamtsystem erfassen – vom Rohstoff über die Werkzeugtechnik bis hin zur automatisierten Montage. Damit verschiebt sich ihr Rollenbild: vom Ausführenden an der Maschine hin zum Mitgestaltenden technischer Lösungen.

Digitalisierung verändert das Arbeitsumfeld

Mit der zunehmenden Vernetzung von Maschinen, Anlagen und Informationssystemen wächst die Menge und Komplexität der verfügbaren Daten. Kunststofftechnologinnen analysieren Produktionskennzahlen, überwachen Qualitäts- und Prozessdaten und arbeiten mit MES- oder ERP-Systemen.

Damit wird die Fähigkeit, Informationen zu verknüpfen, zu bewerten und entscheidungsrelevant zu nutzen, zu einer zentralen Kompetenz. Neben technischem Wissen rücken digitale Kompetenzen, vernetztes Denken und die Kommunikation über Fachgrenzen hinweg in den Vordergrund.

Neue Schnittstellenkompetenzen entstehen

Durch Digitalisierung und Automatisierung entstehen neue Berührungspunkte zu Bereichen wie Steuerungs-, Regelungs- und Datentechnik. Kunststofftechnologen bewegen sich zunehmend an der Schnittstelle zu Automatikern, Systemtechnikern und Informatikern.

Future Skills wie Problemlösungsfähigkeit und Innovationskompetenz befähigen sie, in interdisziplinären Teams zu denken und kreative Lösungen zu entwickeln – etwa bei der Optimierung von Spritzgiessprozessen, der Einführung von Robotik oder der Integration von Sensordaten in die Prozessregelung.

Future Skills in der Berufsbildung fördern

Damit solche Kompetenzen entstehen, müssen Lernende frühzeitig in realitätsnahe, komplexe Lernumgebungen eintauchen. Genau hier setzen die Initiativen des KATZ Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrums in Aarau an.

Die Kreislauffabrik

In der Kreislauffabrik erleben Lernende den gesamten Lebenszyklus eines Kunststoffprodukts – von der Materialprüfung über die Formgebung bis zur Wiederverwertung. Sie erkennen, dass technisches Handeln immer auch ökologische und ökonomische Auswirkungen hat.

Indem sie Rezyklate qualifizieren, Materialströme analysieren und Wiederverwertungskonzepte entwickeln, erwerben sie System- und Nachhaltigkeitskompetenz – zwei zentrale Future Skills für die Kreislaufwirtschaft.

Die Smarte Lernfabrik

Die Smarte Lernfabrik bildet eine digital vernetzte Produktionsumgebung ab – mit Robotik, Sensorsystemen, Automationsinseln und Datenanalyse. Lernende planen und steuern reale Produktionsprozesse, beheben Störungen, analysieren Prozessdaten und optimieren Abläufe. Dabei trainieren sie Problemlösungsfähigkeit, Innovationskraft und Teamarbeit. Durch die Kombination von realer Technik und digitalem Informationsfluss erleben sie, wie Automatisierung und Nachhaltigkeit zusammenwirken.

KATZ verbindet so klassische Handlungskompetenzen mit den Future Skills von morgen – praxisnah, interdisziplinär und zukunftsorientiert.

Hochautomatisierte Produktion bei Hoffmann Neopac: Präzise Fertigung und Qualitätsprüfung von Tuben – ein Zusammenspiel von Kunststofftechnik, Automation und Digitalisierung.

Zwei Praxisbeispiele aus erfolgreichen Betrieben

Die Hoffmann Neopac AG stellt in Oberdiessbach BE und im Ausland Tubenverpackungen aus Kunststoff und Laminaten her. Um ihren Kunden beste Lösungen zu bieten, setzt das Unternehmen auf Nachhaltigkeit, Innovation, Qualität und Service – sowohl bei den Produkten wie auch bei den Produktionsanlagen.

Im Gespräch mit Markus Bigler, Human Resources Development bei Hoffmann Neopac, wird deutlich, dass diese Werte auch das Anforderungsprofil an die Mitarbeitenden prägen. Früher waren es Elektriker, die zusätzlich programmieren konnten; heute ist der Automationsgrad deutlich höher und verlangt ein reibungsloses Zusammenspiel aller Beteiligten.

Hoffmann Neopac bildet über zehn technische Berufe aus. Der moderne Produktionsprozess in der Kunststoffverarbeitung verläuft über mehrere hochspezialisierte Stufen – von der Extrusion über das Fügen bis hin zum Spritzgiessen. Die enge Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus angrenzenden Disziplinen fördert die Lernende im Berufsfeld Kunststofftechnologie dabei nicht nur technisches Know-how, sondern auch kommunikative und soziale Kompetenzen. So werden Lernende gezielt auf die Anforderungen einer dynamischen Arbeitswelt vorbereitet, in der Teamfähigkeit, Prozessverständnis, Adaptionsfähigkeit und systemisches Denken zu den zentralen Zukunftskompetenzen zählen.

Die technischen Verfahren in der Kunststoffverarbeitung sind eng mit den Tätigkeiten angrenzender Berufsgruppen verzahnt: Bedruckung, Automatisierung und Produktionssteuerung greifen ineinander und bilden ein hochgradig vernetztes Gesamtsystem. Lernende Kunststofftechnologinnen und -technologen entwickeln dabei früh ein Verständnis für interdisziplinäre Zusammenhänge und lernen, über den eigenen Fachbereich hinaus zu denken und zu handeln.

Die Georg Utz AG stellt Mehrweg-Kunststoffbehälter für Transport und Logistik her. Eine typische Produktionseinheit besteht aus einer Spritzgiessmaschine mit Linearhandling und einer Automationszelle für nachgelagerte Produktionsschritte.

Im Gespräch mit Andreas Schlegel, COO der Georg Utz AG, wird deutlich, wie stark digitale Systeme und interdisziplinäre Zusammenarbeit den Berufsalltag prägen. Kunststofftechnologinnen und -technologen interagieren heute mit digitalen Produktionssteuerungssystemen und nutzen diese gezielt zur kontinuierlichen Verbesserung der Prozesse. Gemeinsam mit Projektleitenden, Automatikern, Einkäufern und Werkzeugverantwortlichen bringen sie ihre Expertise in internationale Projektteams ein und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Produktoptimierung.

Diese enge Zusammenarbeit eröffnet Kunststofftechnologinnen und -technologen mit ausgeprägten Future Skills neue Entwicklungsperspektiven. Nach ihrer Hauptverantwortung für die Effizienz der Spritzgiessprozesse übernehmen sie zunehmend Aufgaben in internationalen Projekten, in der Qualitätssicherung oder in der übergreifenden Produktionsorganisation.

In der Ausbildung sind neue Ansätze gefragt

Während frühere Handwerke klar abgegrenzt waren – der Bäcker backte Brot, der Mechaniker reparierte Maschinen – besteht das heutige Produktionsumfeld aus hybriden Arbeitswelten. In der Herstellung eines Produkts wie einer Tube wirken Kunststofftechnologinnen und -technologen, Automatikerinnen und Automatiker, Logistikerinnen und Logistiker, Informatikerinnen und Informatiker sowie Polymechanikerinnen und Polymechaniker eng zusammen.

Keine einzelne Berufsgruppe oder Branchenorganisation kann diesen komplexen Produktionsverbund allein abbilden. Künftig braucht es deshalb insbesondere in der praxisorientierten Ausbildung neue Ansätze, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und systemisches Handeln stärker fördern und sichtbar machen.

Fazit

Future Skills erweitern das Verständnis beruflicher Handlungskompetenz. Sie fördern systemisches und vernetztes Denken, stärken die Innovationskraft und ermöglichen einen bewussten Umgang mit Nachhaltigkeit und Ressourcen. Wer diese Kompetenzen entwickelt, wird nicht von der technologischen Entwicklung getrieben, sondern gestaltet sie aktiv mit. Kunststofftechnologinnen und Kunststofftechnologen stehen damit exemplarisch für eine Berufsgruppe, die zeigt: Zukunftskompetenz ist die neue Fachkompetenz.

Von Handlungskompetenzen zu Future Skills

Future Skills erweitern die klassischen Handlungskompetenzen – also Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz – um neue, zukunftsorientierte Fähigkeiten. Besonders in technischen Berufen gewinnen Systemkompetenz, Problemlösungs- und Innovationsfähigkeit sowie Nachhaltigkeitskompetenz an Bedeutung. Sie befähigen Fachkräfte, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, kreative Lösungen zu entwickeln und so zu handeln, dass Unternehmen langfristig erfolgreich und über Generationen hinweg bestehen können.

Kontakt

KATZ Kunststsoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum
Schachenallee 29
CH-5000 Aarau
+41 62 836 95 36
www.katz.ch

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