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Es reicht nicht, nur Wissenschaftler auszubilden

Wie Smart Factory funktionieren kann, und was das Konzept für den Produktionsstandort Schweiz bedeutet, zeigt eine smarte Kunststofffabrik am Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) in Rapperswil.
Die volldigitalisierte Smart Factory produziert Unihockeybälle nach Wunsch (Bild:IWK)

Wie Smart Factory funktionieren kann, und was das Konzept für den Produktionsstandort Schweiz bedeutet, zeigt eine smarte Kunststofffabrik am Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung (IWK) in Rapperswil.

Roman Hänggi ist Dozent für Produktionsmanagement und Leiter des DigitalLab an der Ostschweizer Fachhochschule OST. Als Leiter der vernetzten Kunststofffabrik am IWK weiss er: «Smart Factory ist ein Zukunftsthema und bietet gerade auch für ein Hochlohnstandort wie die Schweiz neue Möglichkeiten.»
Smarte Fabrik bedeutet konkret, dass Maschinen vernetzt und entlang der Produktionskette Daten erfasst werden. Durch die geeignete Auswertung dieser Daten lässt sich die Produktivität steigern und die Produktion weitgehend automatisieren.
Beispielsweise werden Daten über die Teilequalität erfasst. Zusammen mit Maschinendaten lässt sich daraus ableiten, wie die Fertigungsparameter optimal eingestellt werden müssen, damit möglichst kein Ausschuss produziert wird.
Hänggi führt aus: «Wir haben alle relevanten Institute in eine grosse Fabrikation integriert. D.h. die Institute sind verantwortlich für all diese Spritzgiessmaschinen, Roboter oder mechanische Bearbeitungszentren. So stellen wir sicher, dass wir immer die neuesten Technologien im Einsatz haben und mit allen relevanten Industriepartnern zusammenarbeiten können.»

Smart Factory als Lernumgebung

Zusätzlich wurden verschiedene IT-Tools von Microsoft Azure über ein MES und CAD-System von Siemens bis hin zu ERP-Lösungen von SAP integriert. Die Breite an eingesetzten IT-Lösungen wird dauernd erweitert. All diese Tools sind ebenfalls mit den Maschinen vernetzt und bilden in diesem Verbund eine smarte Fabrik. Hänggi: «Wir haben also bestehende Infrastruktur der verschiedenen Institute genommen, die in eine neue Halle gestellt, einen Integrationslayer gemacht und zusätzlich neue Maschinenzellen gebaut.»
Einerseits werden in dieser Fabrik Teile im Rahmen von Forschungsprojekten für Kunden produziert. Andererseits bildet sie aber auch eine Lernumgebung. «Wenn man als Ausbildungsstätte das Thema smarte Fabrik vermitteln möchte, braucht es viele verschiedene Fachdisziplinen, die zusammenarbeiten. Im Hörsaal funktioniert es schlecht», sagt der Dozent. Um den integrativen Charakter zu vermitteln, sei es am besten, man diskutiere das direkt an der Maschine vor Ort in der Fabrikhalle. Mit der smarten Fabrik lässt sich dieses Thema nun gut in den Unterricht integrieren.
Die Smarte Fabrik wird zusammen mit den Studierenden zudem konstant weiterentwickelt. Hänggi: «Das heisst wir betreiben nicht nur Lehre, sondern auch Forschung.» Dabei geht es etwa um die Fragen: wie lassen sich diese Maschinen vernetzen? Wie können Daten erfasst werden? Wie lassen sich Roboter integrieren? Wie planen wir eine Smarte Fabrik? Oder: Wie funktioniert Machine Learning?

Rektor Daniel Seelhofer, Regierungsrat Stefan Kölliker und Roman Hänggi. (Bild: IWK)

Chancen für den Standort Schweiz

Das IWK ist das grösste Institut im Bereich Maschinenbau der Ostschweizer Fachhochschule. Die Umsetzung einer smarten Kunststofffabrik bot sich an, weil bereits ein grosser Maschinenpark vorhanden war. «Ausserdem ist Spritzgiessen ein relevanter Prozess. Die Mehrheit aller Teile weltweit sind Kunststoffteile», sagt Hänggi. Doch bei dem Projekt geht es nicht nur um Technologie, sondern auch um wirtschaftliche Betrachtungen. Zusätzlich kommen Themen wie Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit ins Zentrum der Betrachtung. Rückverfolgbarkeit als technisches Thema wird so zu einem strategischen Thema für die Unternehmung.
Automatisierung führt zu Effizienzsteigerung. Das bedeutet, dass in einer smarten Produktion weniger Arbeitskräfte benötigt werden. Auf der anderen Seite braucht es mehr Mitarbeiter in der Planung wie auch im Engineering. Eine bestehende Fabrik in der Schweiz kann laut Hänggi aber durch diese Vernetzung auch wachsen, und braucht dann wieder mehr Mitarbeiter. «Wenn wir durch diese Technologie Fertigungsstandorte in der Schweiz behalten oder sogar noch stärken und aufbauen können, brauchen wir absolut wieder mehr Mitarbeiter. Eine smarte Fabrik bietet zudem attraktivere Arbeitsplätze in der Produktion, was uns in der Schweiz ebenfalls entgegenkommt.»

Webinar von Roman Hänggi über Smart Factory

Messbare Schritte

Dass es sich bei Smart Factory um ein Zukunftsthema handelt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass viele Schweizer KMU noch nicht so weit digitalisiert sind, dass man von smarten Fabriken sprechen könnte, auch wenn sie den Weg zur smarten Fabrik schon beschreiten. Doch Hänggi weiss: «Es braucht keine vollständig integrierte und vernetzte Fertigung, um einen Benefit zu holen. Man kann sich da schrittweise herantasten.»
Hinzu kommt, dass sich nicht jeder Use Case lohnt, automatisiert zu werden. Deshalb braucht es ein strukturiertes Vorgehen, das ermöglicht, Resultate zu erzielen, und immer wieder zu messen, was die Digitalisierung bringt. «Das ist ein wichtiger Aspekt in der Ausbildung der Studierenden. Sie lernen zum Beispiel wie man einen Use Case aufbaut, und was überhaupt relevante Use Cases sind. Zusätzlich lernen sie, wie man diese relevanten Themen dann skaliert. Das ist absolut zentral, sonst investiert man in Massnahmen, die gar keinen Benefit bringen.»

. Die Umsetzung einer smarten Kunststofffabrik bot sich an, weil bereits ein grosser Maschinenpark vorhanden war. (IWK)

Beliebt bei den Studierenden

Das Thema Smart Factory ist sehr breit. Es umschliesst wirtschaftliche Betrachtungen, technisches Know-how oder Datenanalyse. An der Fachhochschule OST gibt es dazu Vorlesungen in verschiedenen Studiengängen wie Maschinentechnik, Wirtschaftsingenieur oder Wirtschaftsinformatik. «Parallel dazu versuchen wir bei bestehenden Vorlesungen das Thema zu integrieren. So können wir diesem Thema Kraft geben und auch an Bestehendem anhängen. Das kommt bei den Studierenden sehr gut an, weil es natürlich grosse Trendthemen der heutigen Zeit sind, wie etwa Lernen aus Daten generell, Simulation oder Machine Learning. Damit ist man heute attraktiv auf dem Arbeitsmarkt. Auch Firmen sprechen auf diese Themen an und möchten sich gerne in diese Richtung weiterentwickeln», sagt Hänggi.
Darin sieht der Dozent auch die Stärke der Schweiz. Denn dass Billiglohnländer mit vernetzten Fabriken in den kommenden Jahren nachziehen könnten, stellt er in Frage: «Dafür braucht es einen Ausbildungsstandard, der diese interdisziplinäre Zusammenarbeit unterstützt. D.h. es braucht einen sehr breiten Erfahrungsschatz, breite und Tiefe Technologiekompetenzen, aber auch den Link zur Praxis. Es reicht nicht, nur Wissenschaftler auszubilden. Ich bin überzeugt wir sind in der Schweiz einzigartig mit unserem Ausbildungssystem, mit unserer Berufslehre wie auch mit Fachhochschulen, Universitäten aber auch mit unseren starken Firmen und mit der langen Tradition der Industrie. Es braucht sehr viel implizites Erfahrungswissen, und das muss man koppeln mit den neuen Technologien. Man muss unterschiedliche Disziplinen vereinen aber auch unterschiedliche Ausbildungsstufen.»

Eine Frage der Kultur

Was es laut Hänggi auch noch braucht ist eine Kultur in der Firma, die erlaubt organisatorische Silos zu überwinden. Das heisst verschiedene Abteilungen, Fachdisziplinien und verschiedene Firmenstandorte müssen miteinander zusammenarbeiten. Das passe zur Kultur in der Schweiz, weil wir schon immer sehr teamorientiert und flexibel arbeiten. Ausserdem gibt es hier viele mittelständische Unternehmen und unternehmerisch geführte hoch innovative Industriefirmen.
Hänggi fasst betont: «Digitalisierung ist ein Prozess der schrittweise stattfinden muss. Man kann nicht alles auf einmal sofort digitalisieren. Dazu sind die Themen viel zu komplex und die Investitionen werden viel zu hoch. Dabei muss man agil bleiben, weil sich ständig vieles ändert. Das können wir in der Schweiz sehr gut.»

www.ost.ch

Autor

Thomas Meier

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