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Es gibt nicht die eine Lösung im Recycling

Die chemische Industrie plant nach Zahlen von Plastics Europe bis 2030 etwas mehr als 7 Milliarden Euro in das chemische Recycling zu investieren. Ziel ist es, Kunststoffabfälle, die aus technologischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht mechanisch recycelt werden können, sinnvoll chemisch zu recyceln. Im VDMA-Interview spricht Prof. Dr. Manfred Renner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, über den sinnvollen Einsatz und die Grenzen des chemischen Recyclings.
Prof. Dr.-Ing. Manfred Renner: "Es gibt keine Faustformel für den Einsatz der unterschiedlichen Recyclingmethoden." (Bild: Umsicht)

Die chemische Industrie plant nach Zahlen von Plastics Europe bis 2030 etwas mehr als 7 Milliarden Euro in das chemische Recycling zu investieren. Ziel ist es, Kunststoffabfälle, die aus technologischen, ökonomischen oder ökologischen Gründen nicht mechanisch recycelt werden können, sinnvoll chemisch zu recyceln. Im VDMA-Interview spricht Prof. Dr. Manfred Renner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, über den sinnvollen Einsatz und die Grenzen des chemischen Recyclings.

Herr Prof. Dr. Renner, was ist die Aufgabe des chemischen Recyclings in der Kreislaufwirtschaft?

Manfred Renner: Bei der Transformation zur Kreislaufwirtschaft ergänzen sich das chemische und das mechanische Recycling. Es gibt hier kein entweder/oder, sondern immer nur ein sowohl/als auch. Beide Technologien werden gebraucht, wenn man den Kunststoff nach seiner Nutzung wieder als Rohstoff einsetzen möchte. Für das chemische Recycling gibt es vor allem zwei Einsatzgebiete: zum einen dort, wo das mechanische an seine Grenzen kommt. Wenn zum Beispiel der Aufwand für das Sortieren und Reinigen zu gross ist. Zum anderen kommt das chemische Recycling zum Zug, wenn Material bereits mehrmals mechanisch aufbereitet wurde. Denn mit jeder dieser Aufbereitungen verkürzen sich die Polymerketten und oft reichern sich auch Additive im Rezyklat an. Wenn man aber Material von hoher Qualität haben möchte, dann braucht man chemisches Recycling, damit man das Polymer in seine Bestandteile zerlegen und danach wieder zusammensetzen kann. Würde man das nicht machen, müsste man ölbasiertes Virgin-Material in die Kette einspeisen und käme nicht weg von fossilen Rohstoffen. Deshalb ist das chemische Recycling unverzichtbarer Bestandteil des End-of-Life-Handlings von Kunststoffen. 

Vielfach wird die schlechte Energiebilanz des chemischen Recyclings kritisiert. Wie sehen Sie das?

Renner: Man kann die Energiebilanz nicht pauschal kritisieren. Je mehr Fraktionen, also unterschiedliches Material, in ein chemisches Recyclingverfahren gehen, desto mehr muss aufgetrennt werden. Folglich wird mehr Energie benötigt, wenn die Komplexität steigt. Das heisst aber nicht, dass damit der CO2-Footprint steigt. Wir haben zuletzt im Rahmen eines Forschungsprojektes zusammen mit dem Wuppertal-Institut und dem Analyse-Unternehmen Carbon Minds ein Pyrolyseverfahren mit verschiedenen Feedstocks bilanziert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass man den Carbon-Footprint gegenüber Virgin-Material um bis zu 50 Prozent reduzieren kann. 

Eine Studie des Öko-Instituts kommt zu dem Schluss, dass chemisches Recycling gegenüber mechanischem in puncto Klimafreundlichkeit schlechter abschneidet.

Renner: Es gibt eine enorme Breite an publizierten Studien zum Thema CO2-Footprint im chemischen und mechanischen Recycling, die zum Teil zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Über diese Beiträge wird nur meist überhaupt nicht diskutiert. Die Studie des Öko-Instituts liefert das Ergebnis, das ein Teil der Branche braucht, um das chemische Recycling maximal zu diskreditieren. Momentan wird ein Kampf ausgefochten, man will den Status quo behalten. 

Welches Verfahren eignet sich für welche Anwendung?

Renner: Man muss es ganz deutlich sagen: Es gibt keine Faustformel für den Einsatz der unterschiedlichen Recyclingmethoden. Wir müssen uns dem Thema schrittweise nähern und vieles ausprobieren: Wann mechanisches Recycling sinnvoll ist und wann chemisches. Und beim chemischen Recycling müssen wir ausprobieren, welche der verschiedenen Verfahren am besten für welche Polymermischung geeignet sind. Das ist die Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren stellen müssen. 

„Es gibt keine Faustformel für den Einsatz der unterschiedlichen Recyclingmethoden.“

Bislang arbeiten die meisten chemischen Recycler mit Polyolefinen, die auch im mechanischen Recycling gut zu verarbeiten sind. Warum kümmern sie sich nicht um komplexere Kunststoffe?

Renner: Die Unternehmen gehen derzeit auf Stoffströme, bei denen sie die realistische Erwartung haben, damit mittelfristig Gewinn erzielen zu können. Man fängt nicht gleich mit den schwierigsten Materialien an und investiert hohe Summen in Anlagen, ohne zu wissen, ob man sie wirtschaftlich nutzen oder vermarkten kann. Die Technologie ist nicht das Problem. Vielmehr muss man Kapazitäten aufbauen und sich die Rohstoffströme schrittweise erschliessen. Natürlich kann man im chemischen Recycling auch komplexe Stoffströme verarbeiten und zu hohen Qualitäten kommen, aber da ist der Aufwand für die Fraktionierung eben viel höher. Und solange der Rohstoff Öl günstig ist, macht das wirtschaftlich wenig Sinn. 

Welche Rolle hat die Politik in dieser Gemengelage?

Renner: Wir haben etablierte und hocheffiziente Wertschöpfungsketten in der Kunststoffindustrie. Wenn die in eine gut funktionierende Kreislaufwirtschaft überführt werden soll, geht das nicht ohne politische Leitplanken. Es handelt sich schliesslich um ein komplett neues Wirtschaftssystem. Jetzt kommt das Henne-Ei-Dilemma: Die Politik möchte nicht zu stark regulieren, damit der Markt nicht kaputt geht, bevor etwas Neues da ist. Aber ein neuer Markt wird nur entstehen, wenn es legislative Leitplanken gibt, weil er nicht ökonomisch selbsterklärend ist. Genau da stehen wir gerade. Man muss sich bewusst sein, dass die Transformation ein Prozess über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ist. 

„Mechanisches und chemisches Recycling sollten nicht getrennt, sondern gemeinsam betrachtet werden.“

Und konkret?

Renner: Auch hier gibt es keine einfachen Faustformeln. Aber eine Regulierung sollte unbedingt produktgruppenspezifisch sein. Man muss sich Stück für Stück ansehen, was für welche Branche und für welche Produkte möglich, sinnvoll und umsetzbar ist. Es sollten auch keine Technologien vorgeschrieben oder begünstigt werden. Beispielsweise mechanisches und chemisches Recycling sollten nicht getrennt, sondern gemeinsam betrachtet werden. Dazu gehört auch das Massenbilanzverfahren. Kundengruppen, die einen echten recycelten Content wollen, müssen genau diesen Kunststoff zur Verfügung gestellt bekommen. Anderen Kundengruppen reicht es vielleicht völlig aus, wenn auf einer Handyschale steht, dass sie zu X Prozent massenbilanziert recycelt wurde. 

Wird die Kreislaufwirtschaft ein Erfolg?

Renner: Das hängt davon ab, was uns die Defossilisierung wert ist. Rein ökonomisch wäre es ja eher sinnvoll, hochgradig auf Effizienz ausgelegte lineare Wertschöpfungsketten so zu lassen, wie sie sind. Wenn uns die Bekämpfung des Klimawandels aber sehr wertvoll ist, dann müssen wir auch bereit sein, unser Verhalten zu ändern und die Kosten zu akzeptieren. Die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft wird Billionen kosten, aber sie bietet auch immense wirtschaftliche Chancen. Die verschiedenen Recyclingverfahren, Sortierungsverfahren, Markierungsverfahren sind wegweisende Zukunftstechnologien – die sich als System international exportieren lassen. Dann wird daraus auf einmal ein sehr positives Gesamtkonzept. Man investiert, aber man erschliesst auch signifikante internationale Märkte. Eine grosse Chance für deutsche Unternehmen verschiedenster Branchen. 

www.umsicht.fraunhofer.de

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