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„Digitalisierung ist ein Game-Changer“

Ein Gespräch mit Dr. Alexander Kronimus von PlasticsEurope Deutschland e.V., dem Verband der Kunststofferzeuger, über die Digitalisierung der Kunststoffindustrie und wie sie dazu beiträgt, Kunststoffkreisläufe intelligent zu schliessen.
Alexander Kronimus (Bild: Plastics Europe, Ulrik Eichentopf)

Ein Gespräch mit Dr. Alexander Kronimus von PlasticsEurope Deutschland e.V., dem Verband der Kunststofferzeuger, über die Digitalisierung der Kunststoffindustrie und wie sie dazu beiträgt, Kunststoffkreisläufe intelligent zu schliessen.

Bei den Wittmann Competence Days 2024 haben Sie eine viel beachtete Keynote gehalten über die Bedeutung von KI und Digitalisierung für die Kreislaufwirtschaft. Was stimmt Sie in Sachen KI und Digitalisierung so optimistisch?

KI und Digitalisierung sind ein Game-Changer für die Kreislaufführung von Kunststoffen. Vollautomatisierte Produktionsprozesse, digitale Produktpässe, die Simulation der Compoundierung und damit reduzierte und optimierte Arbeitsabläufe ermöglichen, bieten vielfältige Möglichkeiten, die Produktion und Verarbeitung von Kunststoffen sowie die Logistik deutlich effizienter zu gestalten. Sie helfen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, Ressourcen einzusparen, und selbst beim Recycling von komplexen Kunststoffanwendungen wertvolle Ressourcen zurückzugewinnen.

Können Sie uns dafür ein konkretes Beispiel geben?

Ein sehr schönes und eingängiges Beispiel ist die KI-gestützte Sortierung von Kunststoffabfällen. Durch diese hochautomatisierten und computergestützten Verfahren kann im Sortierprozess letztendlich mehr Rezyklat zurückgewonnen werden, und auch die Qualität des recycelten Materials nimmt zu, was die Weiterverarbeitung des Materials erleichtert.

Sie haben eben auch digitale Produktpässe erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Dr. Kronimus: Der digitale Produktpass ist ein Datensatz, der alle wichtigen Informationen über ein Produkt enthält – von den verwendeten Materialien bis hin zu Reparatur- und Entsorgungsanweisungen. Diese Daten können aus allen Phasen des Produktlebenszyklus stammen und ermöglichen es, die Materialien am Ende ihrer Nutzungsphase optimal zu recyceln. Durch digitale Wasserzeichen auf der Oberfläche von Produkten oder sogenannten Tracern, die den Kunststoffen beigemischt werden, kann bei der Sortierung erkannt werden, aus welchem Material dieser Kunststoff besteht und in welchen Produkten er bereits verarbeitet wurde, und sie anschliessend mit KI-gestützten Verfahren sortieren.

Funktioniert das auch mit komplexen Kunststoffanwendungen und stark gemischten Abfallfraktionen?

Ja, es gibt bereits eine ganze Reihe privater Anbieter von solchen Produktdatenbanken und Tracing-Technologien. Die Politik arbeitet daran, dass digitale Produktpässe bis 2030 auf europäischer Ebene in allen wichtigen EU-Regelungen verankert sind und auch die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine praktikable Nutzung geschaffen werden. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis digitale Produktpässe effektiv zu einer Kreislaufwirtschaft beitragen. Ein Thema, das die Verbände und Gesetzgeber bei digitalen Produktpässen zurzeit noch beschäftigt, ist der Schutz von IPs und Lieferketten. Auch dafür muss es eine praktikable Lösung geben.

Für besonders komplexe Anwendungen wie Autos oder Smartphones kann es auch sinnvoll sein, wenn die Hersteller das Recycling selbst in die Hand nehmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Apple. Der Smartphone-Hersteller betreibt in den Niederlanden eine Recyclingfabrik, in der Roboter ein iPhone in gerade einmal 20 Sekunden auseinandernehmen können, um es anschliessend optimal zu recyceln. Das ist möglich, weil es für jedes iPhone-Modell einen digitalen Zwilling gibt, also ein digitales Modell, das dem Roboter zeigt, wo er hingreifen muss. Ein einzelner Roboter kann auf diese Weise im Jahr bis zu 1,2 Millionen Smartphones zerlegen. Das zahlt sich nicht nur positiv in der Klimabilanz des Unternehmens aus, sondern trägt auch dazu bei, wertvolle Ressourcen aus den Produkten zurückzugewinnen.

Welche digitalen Innovationen halten Sie für besonders vielversprechend für die Kreislaufführung von Kunststoffen?

KI-gestützte Sortierprozesse sind ein grossartiges Beispiel, wie KI und Digitalisierung helfen können, Kunststoffkreisläufe zu schliessen. Doch den grössten Hebel hat die Digitalisierung sicher am Anfang der Wertschöpfungskette, im Produktdesign und in der Herstellung. Mithilfe von Simulationen und Rapid Prototyping können Unternehmen beispielsweise Produkte entwickeln, die besonders wenig Material verbrauchen und am Ende ihrer Lebensdauer leichter recycelt werden können. Zum Beispiel, indem sie die Produkte leichter, haltbarer und modularer konzipieren, sodass sie sich am Ende ihrer Nutzungsphase optimal auseinanderbauen lassen. Durch eine optimale Steuerung und Auslastung der Maschinen kann zudem viel Energie gespart und weniger Industrieabfall produziert werden.

Ein weiteres Thema ist sicher auch die Zusammensetzung der Kunststoffe. Simulationsverfahren in der Polymerchemie ermöglichen die detaillierte Modellierung und Vorhersage der Eigenschaften von Polymeren auf molekularer Ebene. Diese Methoden beschleunigen die Materialentwicklung erheblich und finden bereits breite Anwendung sowohl in der akademischen Forschung als auch in der Industrie. Zum Beispiel bei der Erforschung von Materialien, die es ermöglichen, Multilayer-Folien durch Monomaterial zu ersetzen.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung digitaler Technologien in der Kunststoffindustrie?

Um die europäische Kunststoffindustrie zu modernisieren und zu digitalisieren, werden Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhebliche Investitionen aufbringen müssen. Doch hohe Energiepreise, langsame Genehmigungsverfahren und internationaler Wettbewerbsdruck machen es ihnen zurzeit schwer, dies in der EU zu tun. Die Politik muss daher alles daransetzen, um Europas Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Unternehmen brauchen vor allem langfristige Planungs- und Investitionssicherheit. Die Ziele des Green Deals müssen daher beibehalten werden, doch sie müssen jetzt auch durch einen starken Industrial Deal flankiert werden.

Welche politischen Massnahmen würden Sie sich wünschen, um die Digitalisierung in der Kunststoffindustrie zu fördern?

Die Kunststoffhersteller benötigen in erster Linie einen zuverlässigen und bezahlbaren Zugang zu Strom aus erneuerbarer Energie. Die Politik muss sicherstellen, dass die Versorgungssicherheit hier zu jedem Zeitpunkt gewährleistet ist und sich ein Preisschock wie 2022 im Zuge des Ukraine-Krieges nicht wiederholt. Zudem braucht es eine kluge Chemikalienpolitik, die Umwelt und Verbraucher bestmöglich schützt, Investitionen fördert jedoch gleichzeitig Innovationen ermöglicht. Mithilfe von ambitionierten Rezyklateinsatzquoten und vereinfachten Genehmigungsverfahren für den Bau von Industrieanlagen könnten zudem weitere starke Investitionsanreize geschaffen werden, um die Digitalisierung und die Transformation zur klimaneutralen Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffindustrie zu beschleunigen.

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