Das Jahr 2020 war ein Jahr, das gesellschaftlich und auch wirtschaftlich stark geprägt war von dem sich neu und weltweit ausbreitenden Corona-Virus. Für die Wirtschaft generell und die Composites-Industrie im Speziellen war das vergangene Jahr ein sehr schwieriges, von den Auswirkungen her durchaus vergleichbar mit den Jahren der Weltwirtschaftskrise 2008/2009.
Volker Mathes, Business Development, AVK
Bereits 2019 zeigten sich viele Bereiche der Composites-Industrie verunsichert. Der Composites-Markt ist trotz seiner relativ bescheidenen Grösse durch enge internationale Vernetzungen gekennzeichnet. Der Brexit, um nur eines der massivsten Beispiele zu nennen, sorgte bereits 2019 für massive Unsicherheit in vielen Industriezweigen. Der innereuropäische Handel wurde durch zunehmende Unwägbarkeiten und den verstärkt aufflammenden nationalen Protektionismus sowie nationalen Bestrebungen einzelner Länder massgeblich geschwächt und behindert. Hinzu kamen die ersten Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China sowie anderen Ländern, die negative Auswirkungen auf den Welthandel hatten. Ein Rückgang der Investitionsbereitschaft und ein sehr vorsichtiges Agieren zeichneten sich bereits 2019 ab.
Seit dem 27. Januar 2020 begann sich das neuartige Coronavirus nach Asien auch in Europa und weltweit auszubreiten. Ab dem 11. März 2020 stufte die WHO die Verbreitung der Krankheit als Pandemie ein. Der Lockdown in Europa und Deutschland folgte und mit ihm massive Einschnitte für die Bevölkerung, die Industrie und die Wirtschaft generell. Die Auswirkungen sind die schwersten seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der gesamten europäischen Menge von Glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK). Der Rückgang der europäischen GFK-Produktionsmenge beträgt 12,7 %. Der gesamte europäische GFK-Markt umfasst damit ein Volumen von 996 Kilotonnen (kt).
Die Composites-Produktionsmenge besteht nach wie vor zu etwa 95 % aus glasfaserverstärkten Kunststoffen. Die beiden Hauptanwendungsbereiche bilden der Transport- und der Bau-/Infrastrukturbereich, die zusammen mehr als 70 % des Produktionsvolumens ausmachen. Die hohe, auch gesamtwirtschaftliche Bedeutung der beiden Haupteinsatzgebiete von GFK ist auch ein Grund für eine starke Abhängigkeit der Composites-Industrie von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Abbildung 2 stellt wesentliche Wirtschaftsindikatoren der Composites-Marktentwicklung gegenüber. Es ist klar ersichtlich, dass die GFK-Produktion in der langfristigen Betrachtung tendenziell der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes und der gesamten Industrieproduktion folgt.
Generell sind von diesem Rückgang alle europäischen Regionen und alle erfassten Anwendungs-/Nutzungsbereiche betroffen. Im Detail stellen sich die Rückgänge jedoch höchst unterschiedlich, sowohl regional als auch anwendungs-/produktionsseitig dar. Während der Gesamtmarkt gegenüber dem Vorjahr um 12,7 % auf ein Niveau von 996 Kilotonnen (kt) absackte, lag die Entwicklung in den betrachteten Ländern zwischen -8 % und -17,4 %. Tabelle 1 zeigt die Entwicklungen der einzelnen Länder/Regionen im Detail.
Besonders dramatisch erscheint die Entwicklung in UK/Ireland, wo der Markt um 17,4 % eingebrochen ist, sowie in Spanien/Portugal mit einem Rückgang von 16,1 %. Wie auch bereits in der Wirtschafts- und Finanzkrise scheint sich derzeit die deutsche Industrie weitaus besser gegen die schwierige Situation zu stemmen. Mit einem Rückgang von „nur“ 8,0 % steht das Land deutlich positiver da als der Durchschnitt. In ähnlicher Weise behaupten sich auch die osteuropäischen Länder mit Rückgängen von 8,8 %. Insgesamt scheint die Krise die südeuropäischen Länder erneut deutlich härter zu treffen als die mittel- und osteuropäischen Regionen.
Anwendungsseitig ist der Transportbereich derzeit deutlich am stärksten betroffen. Hier sind vor allem der Automotive und der Luftfahrtbereich zu nennen. Die Automobilindustrie war auch schon vor der Corona-Krise geschwächt und muss sich entsprechenden strukturellen Änderungen stellen. Nach anfänglich erheblichen Einbrüchen scheint das Produktionsniveau mittlerweile aber wieder anzuziehen. Die Luftfahrtindustrie wird sich, allen Prognosen nach, auch mittelfristig nicht von den Auswirkungen erholen. Der Bau-/Infrastrukturbereich erlebte deutlich weniger Einbrüche und reagiert insgesamt weniger schnell und heftig auf entsprechende volkswirtschaftliche Schwankungen. Dieses Phänomen zeigt sich aktuell auch in den Composites Marktzahlen.
Tabelle 2 stellt die mengenmässige Entwicklung der wesentlichen Prozesse/Teile zur GFK-Herstellung in den vergangenen Jahren dar (Auswahl). Über die genannten Verfahren hinaus gibt es zahlreiche weitere Produktionsverfahren/-technologien, die sich im Wesentlichen aber einem der genannten Bereiche zuordnen lassen. Besonders betroffen von den Rückgängen (in der Tabelle rot hinterlegt) waren die Bereiche SMC/BMC (-15 %) sowie die thermoplastischen Verfahren GMT/LFT (-15,4 %). Beide Materialgruppen fliessen zu grossen Teilen in den Automotive und generell Transportbereich. Demgegenüber fielen die Rückgänge im Bereich Rohre und Tanks (-11 %) und bei den kontinuierlichen Verfahren (-10 %) deutlich geringer aus. In beiden letztgenannten Bereichen finden sich zahlreiche Bau- und Infrastrukturanwendungen.
Wie auch die Gesamtwirtschaft, ist die Composites-Industrie in starkem Masse von den aktuellen Entwicklungen betroffen. Die damit verbundenen Rückgänge des Produktionsvolumens sind in allen Bereichen spürbar, unterscheiden sich aber sowohl regional als auch prozess-/produktionsseitig deutlich. Entscheidend für die weitere Entwicklung der Composites-Industrie ist zunächst die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der nächsten Monate/Jahre. Darüber hinaus gilt es aber auch die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen und aktiv Alternativen zu etablierten Materialien aufzuzeigen. Composites als Konstruktionswerkstoff sind in einzelnen Teilbereichen fest etabliert, sind aber mit ihren hervorragenden Eigenschaften immer noch zu wenig bekannt. Hier gilt es weiterhin Überzeugungsarbeit zu leisten und gemeinsam die Vorteile der Materialien herauszustellen.