Die jüngste Bain-Analyse zur Automobilindustrie geht davon aus, dass sich die EBIT-Margen der Autobauer in den kommenden zwei Jahren wegen rückläufiger Nachfrage, steigender Kosten und sinkender Preise halbieren könnten. Zulieferer haben aufgrund von hohen Material- und Energiekosten schon länger mit rückläufiger Profitabilität zu kämpfen.
Mit durchschnittlich rund 8,5 Prozent haben die Automobilhersteller zuletzt eine EBIT-Marge auf Rekordniveau verzeichnet. Im Zuge der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Materialknappheit und der darauffolgenden Unterversorgung mit Halbleitern, hatten sie sich auf höherwertige Modelle und margenstarke Kanäle konzentriert und höhere Preise durchgesetzt. Doch nun brechen auch für die Autobauer härtere Zeiten an. Zum einen verbessert sich die Versorgungslage bei Halbleitern, zum anderen verschlechtert sich die gesamtwirtschaftliche Situation deutlich. In der Folge setzt ein Verdrängungswettbewerb ein, und die hohen Preise werden aufgrund von verkaufsfördernden Massnahmen wieder sinken, während die Kosten inflationsbedingt zunehmen. Vor diesem Hintergrund wird die EBIT-Marge in den kommenden beiden Jahren fallen – und zwar im wahrscheinlichsten Fall, dem sogenannten Hurrikan-Szenario, auf 4 bis 6 Prozent im Durchschnitt der Hersteller (Grafik). Dies sind Ergebnisse einer aktuellen Analyse der Automobilindustrie, die die internationale Unternehmensberatung Bain & Company durchgeführt hat.
„Gemessen am zuletzt erreichten Rekordniveau könnten sich die durchschnittlichen Margen der Autobauer faktisch halbieren“, konstatiert Dr. Klaus Stricker, Bain-Partner und Co-Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität. „Insbesondere Volumenhersteller werden darunter leiden, dass sich ihre Kundschaft konjunkturbedingt mit Neuwagenkäufen zurückhalten wird.“
Hohen Belastungen die Stirn bieten
Bereits seit zwei Jahren haben die Zulieferer mit einer rückläufigen Profitabilität zu kämpfen. In den ersten drei Quartalen 2022 sank ihre durchschnittliche EBIT-Marge auf nur noch rund 4,5 Prozent. Dabei hatte diese bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie mit 5 bis 8 Prozent immer 1 bis 2 Prozentpunkte über der Marge der Hersteller gelegen. Einzige Ausnahme waren die Finanzkrisenjahre 2008 und 2009 gewesen.
„Die Belastungen für die Automobilzulieferer sind enorm“, erklärt Dominik Foucar, Bain-Partner und Branchenexperte. „Neben den Folgen der Corona-Pandemie leiden viele unter den gestörten Lieferketten, dem strukturellen Halbleitermangel sowie den insbesondere infolge des Ukraine-Kriegs noch einmal stark gestiegenen Kosten für Material, Energie und Personal.“ Einige Unternehmen würden zwar bereits an weitreichenden Effizienz- und Transformationsprogrammen arbeiten. „Doch viele haben noch Nachholbedarf“, so Foucar.
Ernst der Lage erkennen
Bei vielen Herstellern spielen weitreichende Effizienzmassnahmen angesichts der zuletzt erzielten Rekordmargen bislang jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Ihre volle Aufmerksamkeit gilt der laufenden Umstellung der Antriebe auf Elektromobilität und den Fortschritten auf dem Weg hin zur Klimaneutralität. „Das muss sich ändern“, betont Branchenkenner Stricker. „Auch wenn es in Zeiten hoher Gewinnspannen paradox klingen mag: Das Gebot der Stunde ist es, eine deutliche Steigerung der Resilienz der Geschäftsmodelle zu erreichen. Und das erfordert strikte Effizienz- und Transformationsprogramme sowie grundlegende Strukturverbesserungen.“
Dafür müsste allen Beteiligten klar sein, welche Branchendynamik zu erwarten sei und welche Folgen es habe, untätig zu bleiben. „Nur wenn der Vorstand die gesamte Belegschaft und auch den Betriebsrat mit an Bord holt, können die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen gelingen“, so Stricker.
Profitabilität absichern
Im Zuge der Analyse hat Bain fünf Stellhebel identifiziert, die es den Automobilherstellern möglich machen, ihre Profitabilität bestmöglich zu erhalten. Bei konsequenter Nutzung können diese ihren laufenden Betrieb optimieren, Effizienzreserven mobilisieren und ihre Transformation beschleunigen. Die Stellhebel sind im Einzelnen:
- Erreichtes Preisniveau verteidigen. Höchste Disziplin ist in den kommenden Monaten gefragt, um das Preisniveau der jüngeren Vergangenheit bestmöglich zu halten. Eine solche Strategie zielt auch darauf ab, die Kundschaft an die höheren Preise für Elektromobilität heranzuführen. Der Branche kommt es nun zugute, dass sie in der Pandemie ihr tradiertes, durch die hohen Produktionskapazitäten getriebenes Geschäftsmodell („supply push“) überwinden konnte. Der aktuelle, nachfrageinduzierte Ansatz („demand pull“) ermöglicht deutlich höhere Margen. Um einen Rückfall in das alte Modell zu verhindern, sind Strukturen und Kapazitäten entsprechend anzupassen.
- Strukturen anpassen. Noch lange nicht am Ziel sind viele Autobauer in puncto Strukturen und Fixkosten. Die Break-even-Auslastung, die heute oft bei über 80 Prozent liegt, sollte auf 60 Prozent oder darunter reduziert werden. Dies erfordert weitreichendere Massnahmen beispielsweise in organisatorischer Hinsicht und bei der Anpassung der Kapazitäten an die mittel- und langfristige regionale Absatzplanung.
- Zusammenarbeit mit Lieferanten vertiefen. Kooperation ist jetzt das A und O entlang der Wertschöpfungskette. Schaffen Hersteller und Zulieferer Win-win-Situationen, können sie Kosten nachhaltig reduzieren. Dazu gehören beispielsweise der Verzicht auf nicht-monetarisierbare Angebote und Funktionalitäten, eine Reduktion von Spezifikationen und die Verringerung der Prozesskomplexität.
- Risiken minimieren. Noch sind die Autobauer zum Teil stark abhängig von einzelnen Absatzmärkten wie China, den USA oder der EU oder aber auch von bestimmten Lieferanten und Systempartnern. Um die Resilienz zu erhöhen, ist ein möglichst ausgewogenes und auf mehrere Standbeine verteiltes Risikoprofil anzustreben.
- Dekarbonisierung im Blick behalten. Auch wenn die Effizienzsteigerung kurzfristig Priorität hat, gilt es sämtliche Massnahmen auf die laufende Transformation abzustimmen. Dabei können sich zum Teil Synergieeffekte ergeben. So ist es etwa mit dem Ausbau geschlossener Kreisläufe für Batterien möglich, die Umweltbelastung zu reduzieren, das Geschäftsmodell zu stabilisieren und langfristig auch die Profitabilität zu verbessern.
Kräfte bündeln und entschlossen handeln
An einer engen Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern führt kein Weg vorbei, wenn die Effizienz gesteigert und die Transformation erfolgreich fortgesetzt werden soll. „Die Autobauer werden nur gemeinsam mit leistungsfähigen Lieferanten ihre Ziele erreichen“, ist Bain-Partner Foucar überzeugt. „Sie müssen mehr denn je darauf achten, dass sie ihre Partner nicht überfordern, sonst werden sie bereits in Kürze systemkritische Zulieferer unterstützen müssen.“ Jetzt kommt dem Liquiditätsmanagement besondere Bedeutung zu. „Zulieferer benötigen Liquidität, um Geschäftsfelder zu restrukturieren, ESG-Anforderungen zu erfüllen, aber auch um ihr Geschäft inklusive Übernahmen strategisch weiterzuentwickeln und ihr Working Capital zu finanzieren“, resümiert Klaus Kremers, Bain-Partner und Leiter der europäischen Restrukturierungs- und Transformations-Praxisgruppe.
„Zahlreiche Unternehmen sind bereits heute hoch verschuldet und die weitere Kapitalaufnahme ist in Zeiten hoher Zinsen und zurückhaltender Banken sowie Kreditversicherer schwierig.“ Ausserdem sei der Zugang zu alternativen Finanzierungsinstrumenten derzeit stark eingeschränkt.
Aus Sicht von Bain-Partner Stricker ist nun schnelles und entschlossenes Handeln unverzichtbar: „Hersteller, die die Zeichen der Zeit erkennen und jetzt klare Massnahmen ergreifen, um resilienter zu werden, haben das Heft des Handelns in der Hand. Wer jetzt untätig bleibt und abwartet, wird später unter weitaus grösserem Druck stehen und nur noch reagieren können.“