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Recycling statt Bioplastik

Altkunststoff stellt wegen seiner langen Haltbarkeit eine ungewünschte, aber leicht zu vermeidende Umweltbelastung dar. Verpackungen aus Bioplastik präsentieren sich als umweltfreundliche Alternative. Nach Meinung der Academic Society for Health Advice sind de facto die meisten dieser Produkte jedoch schädlich für Umwelt und Klima – sowohl in der Herstellung, als auch in der Entsorgung.
Recyclingbox und Kunststoffabfall
recycling box and plastic trash on green grass

Altkunststoff stellt wegen seiner langen Haltbarkeit eine ungewünschte, aber leicht zu vermeidende Umweltbelastung dar. Verpackungen aus Bioplastik präsentieren sich als umweltfreundliche Alternative. Nach Meinung der Academic Society for Health Advice sind de facto die meisten dieser Produkte jedoch schädlich für Umwelt und Klima – sowohl in der Herstellung, als auch in der Entsorgung.

Viele Menschen sind alarmiert über die zunehmende Verschmutzung unserer Umwelt durch Plastikmüll. Als vermeintlich bessere Alternative wählen sie immer häufiger Produkte aus Bioplastik: 2018 wurden weltweit 19 Millionen Tonnen biobasierte und teil-biobasierte Kunststoffe erzeugt und stellten damit knapp 6 % aller Kunststoffe. Bis 2023 wird mit einem Wachstum auf einen Anteil von 10 % gerechnet. Der Grossteil der Biokunststoffe stammt aus Asien (55%), gefolgt von Europa (19%) und Nordamerika (16 %). Südamerika, das selbst vergleichsweise wenig Bioplastik produziert (9%), liefert den Grossteil der weltweit zu Bioplastik verarbeiteten Rohstoffe. Vor allem in Brasilien wird im grossen Stil Zuckerrohr angebaut – meist unter katastrophalen Bedingungen für Mensch und Umwelt. Zwar verursachen Pflanzen als nachwachsende Rohstofflieferanten in der Regel weniger Treibhausgase als die Verarbeitung fossiler Rohstoffe zu konventionellem Plastik. Doch ihr Anbau verbraucht Unmengen von Wasser, Dünger, Agrochemikalien und Böden: So geht Ackerland für die Nahrungsmittelproduktion verloren oder es werden Wälder für neue Anbauflächen gerodet.

„Bio“ ist nicht gleich „umweltfreundlich“

Diese verheerende Umweltbilanz vieler Biokunststoffe ist den meisten Menschen nicht bewusst. Während der Begriff Kunststoff in der öffentlichen Wahrnehmung negativ besetzt ist, kommt das Label „bio“ umso besser an. Das belegt eine Verbraucher-Studie, die zudem eine erschreckende Unkenntnis der Befragten zu Tage brachte: „Die Leute meinen, alles, was aus Pflanzen hergestellt ist, ist umweltfreundlich“, so das Fazit der Autoren. Tatsächlich ist die Sache komplizierter. Wer Obst und Gemüse im Bioladen kauft, unterstützt damit eine Form der Lebensmittelerzeugung, die auf Kunstdünger und Pestizide verzichtet und so einen echten Beitrag zum Arten- und Umweltschutz leistet. Dagegen seien die Begriffe Bioplastik oder Biokunststoff „letztlich irreführend, da es sich nicht um Produkte aus der ökologischen Landwirtschaft handelt“, kritisiert der Naturschutzbund Deutschland. 

Verwirrende Vielfalt an Materialien

Unter den Sammelbegriff Bioplastik fallen die unterschiedlichsten Kunststoffe, die sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen: Manche sind biologisch abbaubar, andere sind biobasiert – also vollständig oder teilweise aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt; für manche trifft beides zu. Damit ist allerdings nicht zwangsläufig gewährleistet, dass diese Materialien umwelt- und klimaschonend hergestellt und entsorgt werden können. Beispiel Bambus-Becher: Zwar ist er aus pflanzlichem Material und damit biobasiert. Weil er aber als Kaffeebecher taugen und obendrein spülmaschinenfest sein soll, wird der Naturstoff mit Kunstharzen verklebt – und ist dann nicht mehr biologisch abbaubar. Ganz zu schweigen von den Schadstoffen, die laut Stiftung Warentest jeder zweite Bambusbecher ans Getränk abgibt. Weil der Bambusbecher als Verbundstoff nicht sortenrein ist, lässt er sich nicht recyceln – und ist damit sogar weniger nachhaltig als ein reiner Kunststoffbecher. 

Schwindel-Etikett „biologisch abbaubar“

Ob und wie schnell ein Stoff abgebaut wird und in welche Bestandteile er zerfällt, entscheidet allein die chemische Struktur seiner Ausgangsmaterialien – unabhängig davon, ob diese aus Pflanzen oder Erdöl stammen. Beispiel Bio-PET: Obwohl das zur Herstellung benötigte Ethanol aus Zuckerrohr gewonnen wird, ist Bio-PET ebenso wenig biologisch abbaubar wie synthetisch erzeugtes PET. Grundsätzlich gelten Kunststoffe als biologisch abbaubar, wenn sie durch Mikroorganismen oder Enzyme zersetzt werden können. Die entscheidende Frage lautet: Wie lange dauert dieser Prozess auf Komposthaufen, Mülldeponien oder in der freien Natur? An der Universität Plymouth in England wollte man es genau wissen und vergrub etliche Tüten aus Bio- und konventionellem Plastik im Boden oder versenkte sie im Meereswasser. Nach drei Jahren waren die Tüten, gleich aus welchem Material, immer noch nicht verrottet; grösstenteils waren sie noch so gut erhalten, dass sie mehr als zwei Kilogramm Gewicht tragen konnten. Einzige Ausnahme: Die Tüten aus kompostierbarem Kunststoff verloren in der Erde ihre Belastbarkeit; im Meerwasser hatten sie sich völlig aufgelöst. 

Bioplastik nicht in Biotonne oder auf den Komposthaufen

Als kompostierbar gelten Biokunststoffe nach einer europaweiten Norm, wenn sie in industriellen Kompostieranlagen nach 12 Wochen zu Wasser, Kohlendioxid und Biomasse zerfallen sind. „Tests an praktischen Anlagen haben gezeigt, dass selbst hochwertige und technisch gut aufgebaute Anlagen es nicht schaffen, innerhalb der vorgegebenen Zeiten diese Biokunststoffe abzubauen“, erklärt Michael Buchheit, Vorsitzender der „Gütegemeinschaft Kompost“ im Landkreis Erding. Das Problem: In fast allen Kompostieranlagen dauert es nur rund sechs Wochen, bis Mikroben den Bioabfall zersetzt haben. Bis auch die kompostierbaren Bioplastiktüten weit genug abgebaut sind, bräuchte es also doppelt so viel Zeit – doch das ist für die Müllverwerter meist nicht rentabel. Das bestätigt eine Umfrage der Deutschen Umwelthilfe unter etwa 1000 Kompostierungsanlagen: 95 Prozent der Anlagenbetreiber gaben an, dass sie Bioplastikprodukte nicht normgerecht kompostieren können; Bioplastik wird daher, ebenso wie alle übrigen Plastiksorten, aussortiert und verbrannt. Als Konsequenz lehnen fast alle Kommunen eine Entsorgung von Bioplastik über den Bioabfall grundsätzlich ab. Aus demselben Grund gehören Bioplastiktüten auch nicht in die Biotonne – und schon gar nicht auf den heimischen Komposthaufen, wo deren Abbau womöglich noch länger dauert als in industriellen Anlagen. 

Wiederverwerten statt abbauen!

An der Universität Hohenheim tüfteln Wissenschaftler an biobasierten Kunststoffen aus pflanzlichen Abfällen, konkret: aus den Wurzeln von Chicorée-Salat, von denen europaweit jährlich rund 800.000 Tonnen anfallen. Daraus lässt sich der Vielfachzucker Inulin gewinnen und zu einem Biokunststoff namens PEF weiterverarbeiten. Ein vorbildliches Produkt: Es stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Rohstoffen, die ohne zusätzlichen Verbrauch von Ackerflächen, Wasser, Energie und Dünger ressourcen- und umweltschonend erzeugt werden. Könnte man diesen Stoff nicht so optimieren, dass er auch noch schnell und vollständig biologisch abbaubar ist? Gut möglich – doch darauf kommt es den Forschenden gar nicht an: „Wir machen keine biologisch abbaubaren Kunststoffe, sondern recycelbare. Es ist nämlich wesentlich umweltfreundlicher, Kunststoffe wiederzuverwenden, als sie zu kompostieren. Und Kunststoffe, die man kompostieren kann, kann man nicht recyceln“, erläutert Prof. Dr. Andrea Kruse vom Institut für Agrartechnik der Universität. Auch Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe hält das Kompostieren von Plastik nicht für wünschenswert, wie er gegenüber dem Bayerischen Rundfunk erklärte: „Wir sollten lieber versuchen, anstatt sinnlos energieintensiv hergestellte Kunststoffe zu entsorgen in der Umwelt, diese tatsächlich stofflich zu nutzen und zu recyclen. Und dafür müssen sie nicht biologisch abbaubar sein.“

www.academic-society.de

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