Ein hohes Innovationstempo, verkürzte Produktentwicklungszyklen und der verschärfte Wettbewerb zwingen Unternehmen, ihre Engineering-Effizienz kontinuierlich zu verbessern. Genug Gründe, um das entscheidende Automatisierungspotenzial im Engineering- und Konstruktionsprozess zu identifizieren, auszuloten und in die Prozesse zu integrieren. Auch bei der Auslegung und Konstruktion eines Spritzgiesswerkzeugs gibt es Automatisierungspotenzial.
Autor: Horst-Werner Bremmer, Ltg. Anwendungstechnische Beratung und Vertrieb, Günther Heisskanaltechnik
Alle Welt redet von Automatisierung. Aber die Definition dafür ist unterschiedlich. Nach DIN IEC 60050-351 ist Automatisierung das Ergebnis des Automatisierens, das heisst des Einsatzes von Automaten. Hierbei werden unter Automaten künstliche Systeme verstanden, die selbsttätig ein Programm befolgen und dabei aufgrund des Programms Entscheidungen zur Steuerung und gegebenenfalls Regelung von Prozessen treffen. Die Entscheidungen des Systems beruhen auf der Verknüpfung von Eingaben mit den jeweiligen Zuständen eines Systems und haben Aufgaben zur Folge (DIN IEC 60050-351). Automatisch ablaufende Prozesse vollziehen sich vielfach nach diesem Regelkreisprinzip – also unter zielorientierter Prozessbeeinflussung durch die Rückkopplung von Kontrollergebnissen. Doch allgemein wird die Automatisierung auf die Maschinisierung, also die Übernahme von Funktionen des Produktionsprozesses durch Maschinen, begrenzt oder auf die Mechanisierung, wobei die Maschinen lediglich die Zufuhr der für den Produktionsprozess erforderlichen Energie übernehmen.
Schaut man sich aber die Gründe genauer an, warum man automatisiert, muss der Begriff Automatisierung weiter gefasst werden. In dem Moment, in dem man von der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, Produktivität, Produktqualität, Prozesssicherheit, Prozessgenauigkeit und Flexibilität sowie der Reduzierung der Personalkosten und der Arbeitszeit spricht, werden zum Beispiel auch Produktkonfiguratoren zu Automatisierungskomponenten. Denn auch ein solcher Konfigurator ist ein künstliches System und die Entscheidungen beruhen auf der Verknüpfung von Eingaben mit den jeweiligen Zuständen eines Systems und haben Aufgaben zur Folge.
Auslegung eines Heisskanals automatisieren
Kundenbedürfnisse auf den Punkt genau erfüllen, sich damit von Mitbewerbern differenzieren und trotzdem die Kosten niedrig halten, so könnte man die wirtschaftliche Produktion von Kunststoff-Formteilen mit Spritzgiesswerkzeugen auf den Punkt bringen. Aber auch bei der Konstruktion und Auslegung der Werkzeuge könnte man sicherlich wirtschaftlicher werden, war die Überlegung von Günther Heisskanaltechnik. Der Technologieführer im Bereich Heiss- und Kaltkanaltechnik produziert im nordhessischen Frankenberg mit mehr als 240 Mitarbeitern innovative und anwenderfreundliche Injektionssysteme für die kunststoff- und silikonverarbeitende Industrie. Zu seinen internationalen Kunden zählen führende Unternehmen der Branchen Automotive, Elektro/Elektronik, Medizintechnik, Verpackung und Konsumgüter.
Mit der modernen Spritzgiessfertigung lassen sich direkt verwendbare Formteile in grosser Stückzahl kostengünstig herstellen. Dabei machen aber die Kosten für das Werkzeug einen grossen Teil der notwendigen Investitionen aus. In Anbetracht dessen sollte auch die Auslegung von Heisskanalsystemen nicht durch ein zeitintensives Wälzen von Katalogen und Datenblättern verzögert werden, dachte sich damals die Geschäftsführung von Günther rund um Herbert Günther und Siegrid Sommer. Das passt auch in das Bild, das heute im Markt über Günther besteht und das von Vorausschau, Problemlösungsfähigkeit sowie Innovationsstärke geprägt ist. Zeit ist bekanntlich Geld und der Einsatz eines Online-Produktkonfigurators könnte die Konstrukteure und Werkzeugbauer bei der Auslegung und Konstruktion eines Spritzgiesswerkzeugs unterstützten, um zum einen schneller, zum anderen aber auch sicher zum Ziel zu kommen.

So initiierte Günther zusammen mit der Acatec Software GmbH ein Projekt, das eine geführte Heisskanal-Konfiguration zum Ziel hatte. Dipl.-Ing. Stefan Schreiber, Prokurist und Leiter Consulting bei Acatec, erinnert sich an die Anfänge: «Die Herausforderungen im Maschinen- und Anlagenbau ähneln denen bei vielen Unternehmen im B2B- oder B2C-Bereich. Bei der Nutzung eines Konfigurators geht es um Schnelligkeit, das Einsparen von Routinearbeiten und Fehlerfreiheit. Deshalb setzen in den letzten Jahren auch immer mehr Unternehmen aus dem B2B-Bereich auf eine schnelle, regelbasierte Generierung und Bereitstellung von Informationen für individuelle Investitionsgüter, auch weil es ein erheblicher Wettbewerbsvorteil sein kann. Umso bemerkenswerter ist es, dass Günther Heisskanaltechnik bereits Anfang 2005 auf uns zukam, um gemeinsam einen CAD-Konfigurator zu entwickeln.»

Die Intention dahinter klingt logisch. Thomas Knecht, zuständig für den CADHOC System-Designer bei Günther Heisskanaltechnik: «In der Konstruktion geht oftmals Zeit verloren, die dem Werkzeugbau fehlt, um schnell auf Anfragen reagieren zu können. So kam es zur Idee, mit einem Online-Tool den Konstruktionsprozess zu automatisieren.» Stefan Schreiber von Acatec beschreibt das System so: «Der System-Designer CADHOC basiert auf dem Acatec-Konfigurator speedmaxx Enterprise. Dieser beinhaltet eine Schnittstelle zu SolidWorks. SolidWorks ist eine 3D-CAD-Software, mit der parametrische Modelle, Baugruppen und Zeichnungen erzeugt werden können und die auch Günther einsetzt.»
Das Regelwerk – Basis der Konfiguration
Zu Beginn erarbeitete das Team um Stefan Schreiber in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen bei Günther ein Regelwerk auf Basis der Kundenanfragen: «Das Know-how war in den Köpfen der Konstrukteure, der Anwendungstechniker und der anwendungstechnischen Berater. Diese kennen die Produkte rund um die Heisskanal- und Kaltkanaltechnik, aber auch die für ein Spritzgiesswerkzeug notwendigen Tricks und Kniffe. Ihr Wissen um die Auslegung musste also in das Regelwerk einfliessen. Erleichtert hat die Erarbeitung des Regelwerks aber die Tatsache, dass Günther Heisskanaltechnik schon viel standardisiert und verschiedene Baukästen definiert hatte.» Damit meint der Leiter Consulting bei Acatec zum Beispiel verschiedene Heisskanaldüsen, Mehrfach-Heisskanaldüsen oder OktaFlow oder auch die Rasant-Heisskanalsysteme. Zu jedem Heisskanalsystem werden auftrags-bezogen 3D-Modelle erstellt, mit Ausnahme der Rasant-Heisskanalsysteme. Diese liegen im SolidWorks-Format vor. Da Günther Heisskanaltechnik ein grosses Spektrum an Kunden hat, von kleinen und mittelständischen Betrieben bis hin zu Grosskonzernen, kommen dort auch unterschiedliche CAD-Systeme zum Einsatz. «Unsere Konstrukteure kümmern sich um die Konstruktion mit Standardelementen, zusätzliche Modifikationen und den Sonderkonstruktionsbereich. Wir haben eine hohe Varianz, oftmals in Stückzahl eins», beschreibt Thomas Knecht die Herausforderung. «Die CAD-Daten werden in verschiedenen Datenaustauschformaten wie Step oder Parasolid angeboten», fügt Knecht hinzu.

2006 ging die erste Version des System-Designers CADHOC online und ermöglichte die sofortige Bereitstellung von 3D-Modellen in Advanced Technology. «Das positive Feedback auf den CADHOC System-Designer hat uns dann schon etwas überrascht. Besonders von den sehr kurzen Konstruktionszeiten und der hohen Konstruktionssicherheit waren die Formenkonstrukteure begeistert.» Der Nutzer gibt seine Informationen zur Anwendung, also Material, Artikelgewicht, Werkzeug- und Verarbeitungstemperatur sowie die Einspritzzeit, in den System-Designer CADHOC ein. Vom System wird ihm eine Auswahl an Verarbeitungsmaterialien zur Verfügung gestellt. Sollte einmal das zu verarbeitende Material nicht vorliegen, reicht es auch aus, ein ähnliches Material zu wählen. Die rheologischen Daten werden dann aus der Datenbank ergänzt. Als Ergebnis liefert CADHOC unmittelbar nach der Anfrage ein Datenpaket mit 3D-Modellen inklusive Negativvolumen und Preisinformationen zum Download. Zukünftig wird man mit den Konfigurationsdaten aus dem CADHOC System-Designer auch eine Vertriebsanfrage starten oder direkt ein Produkt bestellen können. Stefan Schreiber beschreibt die Reaktionen der Kunden des Heisskanalspezialisten damals wie folgt: «Aussagen wie ‚Die Schnelligkeit und die anwenderfreundliche Struktur des Konfigurators haben beeindruckt‘, ‚Die visuelle Kontrolle des 3D-Modells brachte schnell das gewünschte Ergebnis‘ oder ‚Der Zugriff rund um die Uhr auf alle relevanten 3D-Daten einschliesslich Negativvolumen macht uns unabhängig und ermöglicht kurzfristige Entscheidungen‘ sprechen für unsere Arbeit. Günther hatte damit 2006 schon die Messlatte hoch gelegt.»
Produktkonfiguration wird zum Kinderspiel
Im vergangenen Jahr hat Günther dann einen Relaunch des CADHOC System-Designers durchgeführt. «Im Relaunch haben wir die über die Jahre gesammelten Erfahrungen umgesetzt. So wurde nicht nur die Usability des Konfigurationsprogramms verbessert», erklärt Knecht. Durch den übersichtlichen Aufbau und die intuitive Bedienung des CADHOC System-Designers finden die Konstrukteure und Werkzeugbauer auch zielgenau und schnell das passende Produkt für ihre Heisskanalauslegung. Neben der anwendungsbezogenen Konfiguration unter Angabe der Prozessparameter, die den Anwender unter anderem bei der Auswahl der passenden Düsengrösse unterstützt, ist auch eine direkte Konfiguration ohne anwendungsbezogene Vorgaben durch den Konfigurator möglich. So wird die Produktkonfiguration zum Kinderspiel. «Eine neue Verwaltungsoberfläche ermöglicht es dem registrierten Nutzer zudem, alle durchgeführten Konfigurationen zu speichern und bei einer späteren Anfrage schnell abzurufen», hebt Knecht eines der neuen Features hervor. «Durch die neuen Speicherfunktionen hat der Anwender seine durchgeführten Auslegungsvarianten immer zur Hand und kann sie bei Bedarf als Vorlage für neue Heisskanalauslegungen nutzen.» Neben Anpassungen im Bereich der Usability, die schneller und sicherer geworden ist, wurden die Berechnungszeiten des Konfigurationsprozesses der Heisskanaldüsen und damit die Wartezeiten weiter reduziert. Sukzessive wird auch die Datenbasis bezogen auf das Produktangebot im Konfigurator weiter aktualisiert und erweitert.
Dass eine Investition in einen Produktkonfigurator sinnvoll ist, zeigt das Beispiel von Günther. 2018 liess Acatec im Rahmen einer Masterarbeit dies nochmals empirisch bestätigen. So verringert sich durch den Einsatz eines Produktkonfigurators die Durchlaufzeit der Geschäftsprozesse um 39,4 Prozent. Vereinzelt liessen sich auch Reduzierungen um 99 Prozent feststellen. Zudem steigert sich die Ergebnisqualität der Prozesse ebenfalls und es wurde eine Prozesskostenreduktion von bis zu 85 Prozent nachgewiesen. Und je mehr Geschäftsprozesse integriert werden, desto grösser ist das Nutzenpotenzial. Schliesslich belegt dies wiederum die Weitsicht und Innovationsfähigkeit des Technologieführers im Bereich Heiss- und Kaltkanaltechnik, wo man bereits 2005 an ein Tool dachte, das ein Erhöhen der Wirtschaftlichkeit, Produktivität, Produktqualität, Prozesssicherheit und Prozessgenauigkeit sowie ein Reduzieren der Konstruktionszeit ermöglicht.
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