Hohe Produktionskosten, globale Unsicherheiten und teilweise sinkende Nachfrage: Die Schweizer Kunststoffbranche steht unter Druck. Trotzdem zeigt sich Bruno Schleiss, Geschäftsführer von KraussMaffei Schweiz, im Interview zuversichtlich. Er erklärt, warum die Schweizer Industrie gut aufgestellt ist, wie wichtig Wissenstransfer bleibt – und weshalb Digitalisierung kein Allheilmittel ist.
Raphael Hegglin
Die vergangenen Jahre waren für die Kunststoffbranche herausfordernd. Wie schätzen Sie die Situation heute ein?
Bruno Schleiss: Die Weltwirtschaftslage ist zurzeit schwierig. Was die Schweiz betrifft, so würde ich allerdings nicht von einer Krise sprechen – auch wenn die Umsätze der Kunststoffbranche in den vergangenen zwei Jahren, zumindest gesamthaft betrachtet, rückläufig waren. Doch dieser Rückgang ist nicht nur auf die verschlechterte Wirtschaftslage zurückzuführen: Er ist auch die Folge der vergangenen Hochkonjunktur, welche die Covid-Pandemie bei uns ausgelöst hat. Damals waren verschiedene Bauteile, Komponenten und Ersatzteile über längere Zeit Mangelware. In der Folge haben viele Produktionsbetriebe begonnen, ihre Lagerkapazität zu erhöhen. Auch wurde in zahlreichen Chefetagen entschieden, wieder mehr in Europa, speziell auch in der Schweiz, zu produzieren. Die Firmen haben sich dadurch ein Stück weit vom globalen Markt unabhängig gemacht. Aus diesem Grund konnte sich KraussMaffei auf dem Schweizer Markt besonders gut positionieren.
Stehen nun viele dieser Maschinen herum?
Bruno Schleiss: Glücklicherweise nicht. Aber man hat in der Zeit der Pandemie und danach überdurchschnittlich investiert und ausgebaut. Durch die neuen Maschinen haben viele Unternehmen ihre Produktionskapazitäten erhöht, sodass momentan ein geringerer Bedarf an neuen Spritzgiessmaschinen, Extrudern und anderen Produktionsmaschinen besteht. Und was hinzukommt: Vielerorts werden Lagerbestände nun teilweise heruntergefahren, um das gebundene Kapital zu reduzieren. Firmen, die Kunststoffteile für ihre Produkte benötigen, bestellen daher zurzeit weniger. Das macht sich in den Umsatzzahlen der Kunststoff-Branche bemerkbar.
Verhaltener Optimismus ist also angebracht?
Ich denke schon. Natürlich gibt es nichts zu beschönigen: Die Weltwirtschaftslage ist aufgrund der drohenden Zölle und der Kriege alles andere als stabil. Es gibt viele Unbekannte, mit denen wir leben müssen. Auf der anderen Seite hat die Schweizer Wirtschaft immer wieder bewiesen, wie robust sie ist. Der hohe Franken war zum Beispiel für die Kunststoffbranche eine grosse Herausforderung – die sie gut gemeistert hat. Die Betriebe haben in Effizienz und Automation investiert und konnten damit vieles kompensieren. Zudem ist die Schweiz ein überschaubarer Markt. Wir produzieren nicht für die preissensitiven Massen, sondern vor allem Spezialprodukte und Kleinserien. Hierzulande finden wir also alles: von Kleinstmaschinen bis zu grossen Anlagen, wie zum Beispiel unserer KraussMaffei MX 4000, der landesweit grössten Spritzgiessmaschine mit einer Schliesskraft von 40’000 kN. Auch was die verarbeiteten Kunststoffe betrifft, ist die Vielfalt gross. In der Schweiz findet man Verarbeiter von Thermoplasten, Duroplasten und Flüssigsilikon sowie Betriebe, die auf Mehrkomponententechniken spezialisiert sind. Das ist eine weitere Stärke der Schweiz: Sie ist gut diversifiziert.
Das setzt viel Know-how und Wissenstransfer voraus.
Das duale Bildungssystem verschafft uns seit jeher Wettbewerbsvorteile. Es ist Basis für unsere Innovationskraft und versorgt die Schweizer Wirtschaft mit kompetenten Fachkräften. Denn der Verkauf von Maschinen ist nur ein Teil unseres Geschäfts. Ebenso wichtig sind Beratung, Engineering und Service. Die Schweizer Kunststoff-Landschaft ist wie bereits erwähnt diversifiziert, spezialisiert und befindet sich in einem ständigen Wandel. Das erfordert laufend neue Lösungen, die wir zusammen mit unseren Kunden erarbeiten. Der Schweizer Markt ist also anspruchsvoll im positiven Sinne: Hierzulande sind fundierte Beratungen und Serviceleistungen gefragt, sie werden als wichtige Faktoren für Qualität und Präzision wahrgenommen, und man ist bereit, dafür etwas zu investieren.
Eine wie grosse Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Das Thema ist schon seit Jahren ein Dauerbrenner und neben dem Thema Nachhaltigkeit einer der wichtigsten globalen Trends – gerade in der Schweiz, wo wir den starken Franken und die vergleichsweise hohen Lohn- und Mietkosten mit Effizienz und Qualität wettmachen müssen. Entsprechend viel ist in den letzten Jahren passiert und wurde bereits umgesetzt. Grundsätzlich können wir von KraussMaffei umfassende Digitalisierung bieten. Auch die Integration von künstlicher Intelligenz hat schon stattgefunden und wird weiter vorangetrieben. Doch oft benötigen Schweizer Betriebe smarte und gleichzeitig robuste sowie wandelbare Lösungen und keine Programme mit unüberschaubar vielen Features ohne Mehrwert. Die vergangenen Jahre haben meiner Meinung nach nicht nur gezeigt, was Digitalisierung alles kann, sondern auch, was sie nicht kann. Falsch eingesetzt kann sie Prozesse komplizierter, teurer oder gar ineffizienter machen. Wir bei KraussMaffei legen daher den Fokus auf einfache, flexible und nutzerfreundliche Lösungen. Mit APC+, socialProduction und dem pioneersClub bieten wir den Kunden anwenderfreundliche Möglichkeiten die Digitalisierung sinnvoll zu nutzen.
Und wie sieht es punkto Wartungen und Reparaturen aus? Setzt sich hier zunehmend Remote Support durch?
In unserer Branche lassen sich Störungen oft nur vor Ort, oder unter fachkundiger Unterstützung per Hotline beheben, obwohl wir den Kunden bei Bedarf einen Remote Support aktiv anbieten. Viele Kunststoff-Verarbeiter stehen einer Online-Anbindung kritisch gegenüber. Ich verstehe das: Unsere Systeme erfüllen zwar die höchsten Sicherheitsstandards, doch die Unternehmen möchten ihre Daten nur auf eigenen Servern und in geschlossenen Systemen speichern. Schliesslich geht es dabei um ihr geistiges Eigentum. Für uns ist das Thema Service daher zentral. Wichtig sind gute Erreichbarkeit, telefonische Unterstützung und gut ausgebildete Servicetechniker, welche bei Störungen rasch vor Ort sein können. In der kleinräumigen Schweiz ist es noch nicht so ein Problem, ohne Remote Zugriff Störungen zu beheben. Unser oberstes Ziel ist es, die Ausfallzeit einer Maschine auf das Minimum zu begrenzen. Obwohl wir eine Remote Anbindung anbieten, kann eine vor Ort Unterstützung schneller zum Ziel führen. Die Schweiz ist ein fordernder Markt, der Liefertreue, Qualität und schnelle, individuell passende Lösungen verlangt. Der Schweizer Kunde schätzt auch speziell den persönlichen Austausch.
Gleichzeitig ist die Schweiz ein kleiner Markt. Ist das für den Konzern eine Herausforderung?
Ja und nein. Wir verlangen viel, bringen jedoch auch viel ein. Es ist schon mehrmals vorgekommen, dass eine neue Maschine oder eine spezielle Modifikation einem unserer Projekte entsprungen ist. Die Innovationskraft der Schweiz führt nicht selten zu einer inspirierenden Zusammenarbeit, von der alle Seiten profitieren können. Zum Beispiel gibt es hier Kunden, die von uns Maschinen gekauft haben, von denen es in dieser Ausführung auf der Welt nur wenige gibt. Viele neue Entwicklungen sind aus der Zusammenarbeit mit Schweizer Kunden entstanden. Aus solchen Kooperationen können wir viel lernen.
In einem international tätigen Konzern wie Ihrem: Wie beeinflussen strukturelle Veränderungen an anderen Standorten Ihre Arbeit in der Schweiz?
Das hat durchaus spürbare Auswirkungen – im positiven Sinne. Am neuen Hauptstandort im bayerischen Parsdorf haben wir ein komplett neues Werk gebaut, das Spritzgiessen, Automation und Reaktionstechnik unter einem Dach vereint. Das ist ein enormer Fortschritt, gerade im Vergleich zum alten Werk, das historisch gewachsen ist und entsprechend logistische Schwächen hatte. Das neue Werk wurde von Grund auf geplant – mit klaren Materialflüssen und kurzen Wegen. Auch für uns in der Schweiz bringt das Vorteile: Wir haben nun Zugriff auf eine deutlich modernere Infrastruktur. Das hilft uns bei der Projektumsetzung – insbesondere bei komplexeren Anlagen, die eine enge Verzahnung von Maschine und Automation erfordern. Durch das neue Werk ergeben sich auch ganz neue Möglichkeiten in der Fertigung – sei es bei Sonderlösungen, bei grösseren Maschinen oder auch in der Lagerung und Aufbereitung schwerer Stahlteile. Es geht also nicht nur darum, wo die Maschine gebaut wird – sondern wie gut wir in der Lage sind, sie für den Kunden masszuschneidern. Das gelingt uns heute noch besser.
KraussMaffei
Gegründet wurde KraussMaffei 1838 in München. Der Maschinenbauer beschäftigt weltweit rund 4’200 Mitarbeitende und unterhält neben dem Hauptstandort im deutschen Parsdorf weitere Produktionsstätten in Deutschland, Slowakei, China und USA. KraussMaffei ist Teil der Sinochem Holdings Corporation Ltd., einem der weltweit führenden Chemiekonzerne.
Seit 2023 ersetzt der neue Standort Parsdorf den früheren Hauptsitz in Allach. Es befinden sich dort die Verwaltung, die Spritzgiessmaschinen-Fertigung, die Reaktionstechnik, die Automation sowie die additive Fertigung sowie ein erweitertes Technikum für Kundenvorführungen, Maschinenabnahmen und Schulungen. Ziel des Umzugs war die Zusammenführung von Kompetenzen, die Modernisierung der Fertigungsinfrastruktur und die Verbesserung logistischer Abläufe mittels durchgängiger Werkslayouts.
Das Produktportfolio umfasst Spritzgiessmaschinen mit Schliesskräften von 500 bis 4000 kN in der vollelektrischen PX-Serie sowie hydraulische und hybride Maschinen in der GX- und MX-Baureihe bis über 55’000 kN. In der Reaktionstechnik deckt KraussMaffei die Polyurethanverarbeitung mit Dosiermaschinen, Mischköpfen und kompletten Anlagen ab. Die Extrusionstechnik bietet Einschnecken- und Doppelschneckenextruder für das Compoudieren, Recycling sowie für die Kunststoffverarbeitung in Rohr-, Profil-, Schaum- und Plattenanwendungen. Ergänzend entwickelt das Unternehmen industrielle Grossanlagen für den 3D-Druck unter dem Namen PowerPrint, die Bauraumvolumen von bis zu mehreren Kubikmetern ermöglichen. Im Bereich Digitalisierung bietet KraussMaffei Plattformen zur Prozessregelung, für die Maschinenanalyse und die vernetzte Fertigungsüberwachung.
Kontakt
Krauss-Maffei (Schweiz) AG
Grundstrasse 3
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