Eine Attraktion an den Arburg Technologie-Tagen war das Papierspritzgiessen mit einem elektrischen Allrounder 370 A. Zum Einsatz gelangte ein neu entwickeltes Granulat, bestehend aus Papierfasern und PLA. Diese sogenannten Paper-Pearls sind das Ergebnis einer Entwicklungszusammenarbeit zwischen Arburg und der Model Group. Im Interview verraten Luca Simon (Applications Manager Circular Economy bei Arburg) und Severin Kasper (Team Leader Innovation bei der Model Group), was derzeit möglich ist – und was noch auf uns zukommt.
Interview: Raphael Hegglin
Herr Kasper, Herr Simon, für das von Ihnen entwickelte Spritzgiessverfahren verwenden Sie eine Standardmaschine. Welche Anpassungen mussten Sie vornehmen, damit diese die neuen Paper-Pearls verarbeitet?
Luca Simon: Die heute von uns eingesetzten Paper-Pearls bestehen zu 51 % aus Papierfasern und zu 49 % aus dem Biokunststoff PLA. Für sie ist keine spezielle Ausrüstung erforderlich; diese Paper-Pearls lassen sich problemlos auf Standard-Spritzgiessmaschinen verarbeiten. Allerdings gibt es werkzeugseitig Einschränkungen: Die Papierfasern mindern die Fliessfähigkeit des Kunststoffes, wie wir das von anderen faserverbundenen Kunststoffen auch kennen. Wir haben den Prozess daher lange optimiert, und bereits heute sind Wandstärken von weniger als 1 mm möglich. Doch der Entwicklungsprozess ist längst nicht abgeschlossen. Wir lassen gerade anhand unserer gewonnenen Erkenntnisse ein neues Testwerkzeug bauen. Ich denke, dass wir mit diesem noch deutlich mehr Erkenntnisse sammeln können.
Severin Kasper: Für uns war zentral, dass wir ein Standardverfahren entwickeln und dass keine Änderungen am Maschinenpark erforderlich sind. Der Fokus unserer gemeinsamen Entwicklungsarbeit lag daher zuerst auf den Paper-Pearls. Sie müssen so beschaffen sein, dass sie sich wie Pellets aus herkömmlichen, erdölbasierten Kunststoffen einsetzen lassen. Dies haben wir erreicht, unser Produkt ist bereits unter dem Namen «Paper-Pearls +VS51» lieferbar.
Für welche Endprodukte eignen sich die von Ihnen heute angebotenen Paper-Pearls?
Luca Simon: Prädestiniert sind Produkte im Single-Use-Bereich, die am Ende nicht rezykliert werden können und damit verbrannt werden. Solche fallen in der Baubranche wie auch im Verpackungs- und Lebensmittelbereich zuhauf an. Mit Paper-Pearls gefertigte Erzeugnisse sind biologisch abbaubar und auch ihre Verbrennung ist unproblematisch: Das freigesetzte Kohlendioxid befindet sich in einem natürlichen Kreislauf, da sowohl die Papierfasern wie auch das PLA aus nachwachsenden Pflanzen stammt. Einschränkend ist allenfalls die minimale Materialstärke, die erreicht werden kann – die fällt bei anderen Kunststoffen dünner aus. Auch sind aus Paper-Pearls gefertigte Produkte, ähnlich wie Verpackungen aus Karton, nicht über längere Zeit wasserbeständig. Flüssigkeitsbehälter muss man also innen zusätzlich beschichten.
Severin Kasper: Erste Interessenten sind bereits auf uns zugekommen und es laufen einige Tests mit unserem Material. Details darf ich allerdings noch nicht verraten. Aber um eine Vorstellung zu bekommen: Solche Endprodukte können zum Beispiel Fliesenkreuze für den Bau sein, wie sie täglich zigtausendfach verwendet werden. Oder Distanzhalter, Dübel, Verpackungseinlagen, Montagehilfen, Dosen und Spielwaren. Es gibt nur wenig Einschränkungen.
Sie fertigen Ihre Paper-Pearls aus nachwachsenden Rohstoffen, was auf eine gute CO2-Bilanz hinweist. Können Sie diese bereits belegen?
Severin Kasper: Den Carbon-Footprint Cradle-to-Gate haben wir berechnen lassen. Er liegt bei 1,5 CO2-Äquivalenten pro Kilogramm Paper-Pearls. Das ist schon sehr gut, doch für uns nur Schritt eins. Wir möchten künftig Produkte mit bis zu 75 % Anteil an Papierfasern anbieten. Dazu gehört auch eine vollständig rezyklierbare Variante. Als Bindemittel verwenden wir für diese nicht PLA, sondern wasserlösliche Kohlenhydrate, die ich nicht genauer spezifizieren darf. So erzeugte Produkte lösen sich innerhalb von fünf bis zehn Minuten im Wasser auf, die Papierfasern lassen sich damit einfach zurückgewinnen und bis zu 20-mal wiederverwenden. Das kohlenhydrathaltige Abwasser lässt sich zudem in einer Biogasanlage zu Biogas fermentieren. Spritzmaterial mit Kohlenhydraten als Bindemittel und mit 75 % Papierfaseranteil lassen sich natürlich nicht überall einsetzen, doch wir sehen grosses Potenzial in der Verpackungsindustrie – nicht nur aufgrund der hervorragenden Ökobilanz unseres Materials, sondern auch hinsichtlich des Preises. Ab einer gewissen Menge erreichen wir tiefe Kosten.
Die Stärke für das PLA wie auch die von Ihnen erwähnte Kohlenhydrate sind nachwachsende Rohstoffe, angebaut auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Entsteht dadurch die Gefahr, die Nahrungsmittelproduktion zu gefährden?
Severin Kasper: Auch wenn wir landwirtschaftliche Flächen für die Produktion von Biokunststoffen nutzen, können wir ausreichend Lebensmittel herstellen. Entscheidend ist die Art der Landwirtschaft: Mit weniger Tierfutter werden die Flächen auch für biologische Werkstoffe reichen. Ich bin daher überzeugt, dass Biokunststoffe Teil einer nachhaltigen Landwirtschaft sein können. Und wir streben ja einen möglichst hohen Gehalt an Papierfasern an – diese stammen aus der Forstwirtschaft.
Welche Faktoren sind entscheidend, um Spritzgiessen mit einem hohen Anteil an Papierfasern zu ermöglichen?
Luca Simon: Es sind verschiedene Herausforderungen zu meistern. Bei Materialien mit so hohem Faser-Anteil entstehen sehr grosse Reibungskräfte und entsprechend Wärme – dies muss man beim Auslegen des Arbeitsprozesses berücksichtigen. Es ist auch nicht einfach, bei einem so hohen Faseranteil eine fliessfähige Masse aufzuarbeiten, deshalb müssen die Plastifizierkomponenten darauf ausgelegt sein. Ein weiterer Punkt ist das Granulat: Durch den hohen Faseranteil neigt es dazu, sich bei der Zuführung zu verhaken. Das passiert teilweise auch bei Standardkunststoffen. Bei sehr hohen Papierfaseranteilen wie die erwähnten 75 % handelt es sich also nicht mehr um ein Standard-Spritzverfahren. Es sind Anpassungen der Maschine erforderlich, diese sind bei uns jedoch alle erhältlich und werden vielfach eingesetzt. Doch die Maschine ist nicht alles: Wir von Arburg stecken viel Entwicklungsarbeit in die Betriebsoptimierung, da wir viel Potenzial im Papier-Spritzgiessen sehen. Wir profitieren von der Zusammenarbeit mit der Model Group daher sehr – mit dem erlangten Know-how können wir unsere Kunden in dieser Sache nun ideal unterstützen.
Severin Kasper: Auch für uns hat sich die Zusammenarbeit als absoluter Glücksfall entwickelt. Wir sind ohne Vorwissen über die Kunststoffbranche auf Arburg zugegangen und man hat uns sehr unterstützt – nicht nur beim Entwickeln, sondern auch beim Netzwerken und Bekanntmachen unserer Paper-Pearls. Ohne die Expertise von Arburg und die Plattform, die sie uns bieten, stünden wir jetzt nicht mit einem marktfähigen Produkt da.
Nachhaltige Werkstoffe für die Zukunft
Papierspritzgiessen macht es möglich, papierbasierte Werkstoffe mit herkömmlichen Spritzgiessmaschinen zu verarbeiten. Erste Ansätze zur Nutzung von Zellulosefasern in Formmassen entstanden bereits im 20. Jahrhundert. Mit der wachsenden Nachfrage nach umweltfreundlichen Materialien haben sich in den letzten Jahren vermehrt biologisch abbaubare und kreislauffähige Werkstoffe etabliert.
Eine neue Entwicklung in diesem Bereich stammt von Arburg und der Model AG. Gemeinsam haben sie die Werkstoffklasse Paper-Pearls geschaffen, die aus Papierfasern und biobasierten Kunststoffen besteht. Als Bindemittel dienen Lignin oder Stärke, sodass sich das Material spritzgiessen lässt. Auf der Fakuma 2024 konnte Arburg zusammen mit Model das Potenzial dieser Technik anhand des Slot-Lock-Positioniertools bereits demonstrieren. Gefertigt mit herkömmlichen Spritzgiessmaschinen, besteht das Material zu 51 Prozent aus Papierfasern. Der Werkstoff enthält keine störenden Zusatzstoffe und könnte künftig sogar günstiger sein als manche herkömmlichen Kunststoffalternativen. Die nächsten Schritte zielen nun darauf ab, den Faseranteil weiter zu erhöhen und als Bindemittel wasserlösliche Kohlenhydrate zu verwenden. So lässt sich ein geschlossener Materialkreislauf schaffen, indem gebrauchte Produkte wieder in ihre Fasern zerlegt und als Ausgangsmaterial für neue Anwendungen genutzt werden.
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