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Der Lack ist ab

Ob im Automobilbau, der Möbelindustrie oder der Unterhaltungselektronik – moderne Produkte in Hochglanzoptik sind gefragt,
3D-CAD-Ansicht des konturnahen Temperiersystems für die Spritzgiessfertigung einer Blende mit Hochglanzoberfläche. (Bild: SimpaTec)

Ob im Automobilbau, der Möbelindustrie oder der Unterhaltungselektronik – moderne Produkte in Hochglanzoptik sind gefragt.

Der vermeintlich günstige Werkstoff Kunststoff hat sich mittlerweile – bewusst oder unbewusst – zu einem Lifestylewerkstoff gewandelt. Einher gehen damit höchste Ansprüche an die Oberflächenqualität, die stetig neuen Anforderungen unterliegen und mit dem Wandel des Werkstoffs weiter kontinuierlich steigen. Zusätzlich beeinflussen diesen Wandlungsprozess weitere Aspekte, wie beispielsweise ökonomische und ökologische Faktoren, etwa zur Reduzierung des CO2-Fussabdrucks. Diese gilt es ebenso zu berücksichtigen.

Eine besondere Schlüsselrolle bei der Gewährleistung gewünschter Produktqualitäten spielt dabei ein optimal abgestimmtes Zusammenwirken zwischen Analyse- und Bewertungsmöglichkeiten mittels Prozesssimulation sowie die Beachtung und Umsetzung gewonnener Erkenntnisse zur Verbesserung der Verfahrenstechnik. So lassen sich Herstellungsverfahren im Vorhinein zielführend bewerten und das geeignete Anwendungsspektrum im Vorfeld definieren.

Hochglanz ist eine Herausforderung

Unbestritten birgt das Spritzgiessen von Kunststoffbauteilen mit Hochglanzoberflächen zahlreiche Herausforderungen. So kann unter anderem eine unzureichende Oberflächenqualität des Werkzeugeinsatzes, ungeeignetes Material oder falsche Prozessparameter zu einer minderwertigen Oberflächenqualität führen. Um dennoch die gewünschte Hochglanzqualität zu erzielen, können manche Oberflächen mittels nachgestelltem Lackierprozess aufgearbeitet werden. Allerdings verursachen dann die Energiekosten für den Lackierprozess mit 5 – 15% einen massgeblichen Anteil an den gesamten Herstellungskosten des Bauteils. Bei steigendem Druck nach effizienteren Produktionsmethoden, sowie der Anforderung möglichst niedrigerer Herstellungskosten bei höherer Qualität werden alternative Prozesse erforderlich.

Das Referenzbauteil aus PC+ABS erreichte in beiden Verfahrensvarianten eine Hochglanzoberfläche, ohne Bindenähte allerdings nur mit der variothermen Temperierung (rechts). (Bild: SimpaTec)

Die drei wesentlichen Einflussfaktoren auf die Qualität von Hochglanzoberflächen während des Spritzgiessprozesses sind die Einspritzgeschwindigkeit, der Nachdruck sowie die Werkzeugtemperatur, wobei letztere den Prozessparameter mit den grössten Auswirkungen darstellt. Bei hoher Werkzeugtemperatur lassen sich nahezu ideale Hochglanzoberflächen herstellen. Um allerdings überhöhten Zykluszeiten durch lange Kühlzeiten vorzubeugen, bieten variotherme Temperierungen eine angemessene Alternative zur Herstellung von Bauteilen mit Hochglanzoberflächen.

Prozesse im Vergleich

Zur Vermeidung ungeplanter Kosten oder Bauteildefekte empfiehlt sich die frühzeitige Vorhersage der Bauteilqualität mittels Simulation, idealerweise bereits in der Phase des Produktentstehungsprozesses [6].
In enger Zusammenarbeit zwischen der Contura MTC GmbH und SimpaTec wurde der Einsatz einer konventionellen sowie einer variothermen Temperierung innerhalb des Herstellungsprozess eines Bauteils mit Hochglanzoberfläche verglichen. Bei beiden Prozessen kam ein identisches Spritzgiesswerkzeug mit konturnaher Kühlung zum Einsatz (Titelbild). Bei der Entwicklung und Herstellung des Werkzeuges waren die Firmen Premec S.p.A., Toolax sowie die Contura MTC GmbH massgeblich beteiligt. Durch den konturnahen Verlauf der Kühlkanäle und das insgesamt massgeschneiderte Kühlsystem wird eine ideale Basis der Temperierung geschaffen und somit ein bedeutender Einfluss auf die Werkzeugwandtemperaturen ermöglicht. Sowohl die erzielte Oberflächenqualität des Bauteils wurde bewertet als auch eine Kosten- und Energieabschätzung beider Herstellungsverfahren unter Berücksichtigung eines eventuell zusätzlich notwendigen Lackierprozesses durchgeführt.

Mit Hilfe der Prozesssimulation wurde geprüft, ob eine Vorhersage der Oberflächenqualität nach dem Spritzgiessen bereits im Produktentstehungsprozess möglich ist, um vorab eventuell anfallende Kosten eines Lackierprozesses berücksichtigen zu können. Zusätzlich wurde der Einsatz unterschiedlicher Materialien analysiert; so wurde das Referenzbauteil zum einen aus einem PC+ABS und zum anderen aus einem Polyamid 6 mit 30%igem Glasfaseranteil hergestellt.

Hochglanz aus PC+ABS

Das Referenzbauteil aus PC+ABS glänzte in beiden Herstellungsvarianten mit Hochglanzoberfläche, im Spritzgiessprozess mit und ohne Variothermie. Unter Nutzung der variothermen Temperierung entstand eine ideale, sogenannte Piano-Black Oberfläche (Bild 1, rechts). Die Oberfläche ist frei von Schlieren, Bindenähten, etc., auf einen nachfolgenden Lackierprozess kann verzichtet werden. Bei der Herstellung mittels konventioneller Temperierung ist auf den ersten Blick ebenfalls eine schlierenfreie Oberfläche erkennbar. Bei näherer Betrachtung fallen allerdings deutlich erkennbare Bindenähte ins Auge (Bild 1, links). Ein nachfolgender Lackierprozess wird nötig, um die gewünschte hochqualitative Oberfläche in Piano-Black-Optik zu erzielen.

Energieaufwand Variothermie vs. Lackieren

Die Integration eines nachfolgenden, weiteren Prozessschritts, wie der des Lackiervorganges, in den Herstellungsprozess bewirkt nicht nur einen erhöhten Ressourceneinsatz hinsichtlich Organisation, Transport, Verpackung oder Handling, zusätzlich müssen auch die steigenden Energie- und damit Kostenaufwände berücksichtigt werden. Demgegenüber steht ein ebenfalls erhöhter Energiebedarf bei der Spritzgiessfertigung mit variothermer Temperierung. Wie gestalten sich die erhöhten Aufwände tatsächlich? Das gilt es zu vergleichen.

Das Berechnungsergebnis für die Scherspannungen (unten) liefert tendenziell Hinweise auf die spätere Oberflächenqualität des Realbauteils aus PA6-GF30 – hier die höherwertige Oberfläche mit variothermer Temperierung (rechts). (Bild: SimpaTec)

Dafür wird der Energiebedarf einer Spritzgiessmaschine (Typ Si-180-6s, Hersteller Toyo Machinery & Metal CO.) inklusive aller zusätzlichen Temperiereinheiten für die Herstellung von jeweils 40 Referenzbauteilen gemessen. Unter konventioneller Temperierung wurde für 40 Zyklen ein Energiebedarf von 2,882 kWh notwendig; nach Zuschalten der variothermen Temperierung 7,868 kWh. Dies zeigt einen deutlichen Anstieg des Energieverbrauchs von einem Faktor grösser als 2,7. Mit einem Strompreis von 20 ct pro kWh ergibt sich daraus eine Preiserhöhung von knapp 2,5 ct pro Bauteil.

Verglichen mit den Aufwänden eines nachgestellten Lackierprozesses, der im Falle einer Spritzgiessfertigung mit konventioneller Temperierung anfällt, ist dies trotz allem eine relativ niedrige Preiserhöhung: Bei einer Losgrösse von 25000 Stück und einer Einschichtlackierung fallen mehr als 45 ct pro Bauteil zusätzlich an. Bei dieser Preisabschätzung sind das Handling, eventuelle Einmalkosten sowie ein Lackierausschuss von ca. 2 % noch nicht inbegriffen.

Resultierend ergibt sich daraus ein Faktor von Minimum 18, um den die Herstellungsvariante mit variothermer Temperierung kostengünstiger gegenüber der Variante mit konventioneller Temperierung (inklusive erforderlicher Lackierprozessaufwände) ist.

Simulation zur Kostenabschätzung

Piano-Black kann also beides sein: eine günstige oder eine teure Lifestyle-Optik, je nach Herstellungsprozess. Gewinnbringend und nützlich ist diese Information jedoch nur, wenn im Vorhinein abgeschätzt werden kann, ob eine variotherme Temperierung für das zu fertigende Produkt einen Mehrwert bringen kann, oder nicht.

Mit Hilfe der Spritzgiesssimulation lassen sich nicht nur Trends aufzeigen, die auf die spätere Oberflächenqualität des Bauteils schliessen lassen. Mit Moldex3D wurde dafür der Spritzgiessprozess zum einen mit konventioneller und zum anderen mit variothermer Temperierung berechnet. Neben den bewährten, herkömmlichen Ergebnissen, wie beispielsweise Fliesseigenschaften, Temperaturen, Druck und Deformation, sind für die Tendenz der Oberflächenqualität unter anderem die Eigenschaften der Bindenähte sowie die Scherbelastungen von Interesse. Anhand der Temperatur der Bindenähte zum Zeitpunkt derer Entstehung lassen sich Rückschlüsse auf deren Ausprägung treffen. Bei höheren Temperaturen der aufeinandertreffenden Schmelzefronten erfolgt eine grössere Durchmischung durch die niedrigere Viskosität der Schmelze, was zu weniger ausgeprägten Bindenähten führt. Dieses Phänomen der deutlich höheren Temperaturen der Bindenähte zeigt sich im Prozess mit variothermer Temperierung auf der variotherm temperierten Bauteilseite, in diesem Fall die Sichtfläche auf der Oberseite. Das reale Bauteil zeigt an dieser Stelle keinerlei Anzeichen von Bindenähten. Das Ergebnis der Berechnung verdeutlicht die Temperaturunterschiede der Bindenähte: Auf der variotherm temperierten Sichtfläche (Oberseite) ist die Temperatur der potentiellen Bindenaht so hoch, dass hier die Datenpunkte mit noch höheren Temperaturen als Bindenähte vernachlässigt werden können. Neben der Betrachtung der Bindenähte ist auch ein Vergleich der Scherspannungen an der Bauteiloberfläche, die bei den verschiedenen Temperiersystemen auftreten, von Bedeutung. Dieser Fokus wird im weiteren Verlauf dieses Artikels beim Material mit Glasfaseranteil gesetzt.

Die Partikelverfolgung zeigt die Temperatur der Bindenähte bei deren Entstehung. Bei variothermer Temperierung (rechts) ist die Temperatur der Schmelzefronten an der Sichtfläche (Oberseite) noch so hoch, dass sie nicht als Bindenähte angezeigt werden. (Bild: SimpaTec)

Der Vergleich der Berechnungsergebnisse beider Temperierarten zeigt deutliche Unterschiede in der Oberflächenbeschaffenheit der Bauteile. Dies kann jedoch noch keine endgültige Garantie für eine einwandfreie Oberfläche im Falle eines variothermen Spritzgiessprozesses, respektive die Einsparung eines ganzen Lackierschrittes, sein. Hierfür sind weiterführende Versuche notwendig, die Erkenntnisse zu ergänzenden relevanten Einflussgrössen, wie etwa der Oberflächenqualität des Werkzeugs, liefern. Nichtsdestotrotz verdeutlichen die Ergebnisse bereits eine sichtbare Steigerung der Oberflächenqualität für das Bauteil aus variothermer Temperierung, was bei der Entscheidungsfindung eines geeigneten Herstellungsprozesses eine zu berücksichtigende Rolle spielen sollte.

Hochglanz mit Glasfaser

Dass es ganz ohne Lack schwierig wird, verdeutlichen die Bauteile aus Polyamid 6 mit 30 % Glasfaseranteil. Hier wurden bei Einsatz des Spritzgiessprozesses mit konventioneller Temperierung so kritische Oberflächenqualitäten erreicht, dass selbst eine Lackierung auf Hochglanz aufgrund mangelnder Machbarkeit teilweise nicht mal mehr angeboten wurde. Eine solche Situation ist für einen realen Produktentwicklungsprozess untragbar. Die Herstellung mittels Spritzgiessprozess mit variothermer Temperierung konnte noch retten, was zu retten ist: es wurden akzeptable Oberflächenqualitäten erzielt, sodass ein nachfolgender Lackierprozess noch möglich wäre und die gewünschten Hochglanzflächen noch erzielt werden könnten. Der Notwendigkeit des nachgestellten Lackierprozesses zum Trotz: in diesem Fall hat die variotherme Temperierung die Herstellung einer Hochglanzoberfläche überhaupt erst möglich gemacht.

Mit Blick auf den Vergleich der realen Bauteiloberflächen mit den hier gezeigten Berechnungsergebnissen aus der Simulation mit Moldex3D werden Parallelen erkennbar, die auf die Möglichkeit der Vorhersage des zuvor beschriebenen Debakels schliessen lassen können. Die Berechnungsergebnisse zeigen die maximalen Scherspannungen am Ende der Füllphase beider Temperierarten. Die Gradienten der Scherspannungen sind Indikatoren für eine ungleichmässige Bauteiloberfläche, was im Falle der konventionellen Temperierung die drastisch ungleichmässige Oberflächenqualität des Realbauteils bestätigt. Die geringer ausgeprägten Scherspannungsgradienten beim Berechnungsergebnis für die variotherme Temperierung decken sich mit der qualitativ hochwertigeren realen Bauteiloberfläche (Bild 3, rechts). Wie zuvor bei den Bindenähten kann also auch das Berechnungsergebnis der Scherspannungen Tendenzen über die spätere Oberflächenqualität des Realbauteils aufzeigen. Dieser Versuch mit PA6 und 30% Glasfaser unterstreicht zudem den entscheidenden Beitrag, den die Spritzgiesssimulation zur Abschätzung der Machbarkeit der Produktherstellung leisten kann.

Der Schnitt ins Werkzeuginnere im Simulationsmodell zeigt den Temperaturunterschied am Ende der Füllphase: Auf der Oberseite wird variotherm temperiert, was zu höheren Werkzeugtemperaturen als auf der konventionell temperierten Seite (unten) führt. (Bild: SimpaTec)

Ist Lack nötig oder überhaupt möglich?

Um die absoluten Werte der Scherspannungen und der Temperaturen der Bindenähte noch besser deuten zu können, kann die Plattform iSLM genutzt werden. In dieser interaktiven Plattform zum Datenmanagement für Unternehmen in der Kunststoffbranche können unter anderem bereits gewonnene Erkenntnisse gespeichert und bei nachfolgenden Projekten als Vergleich herangezogen werden.

Das optimale Zusammenspiel von Bewertungs- und Analysemöglichkeiten mittels Prozesssimulation, Auslegung der optimalen Temperierung, alternativer Herstellungsverfahren inklusive eine ggf. Steuerung der Temperierung bereitet den idealen Weg hin zu einem effizienten Produktentwicklungs- und Produktionsprozess. Bereits im Vorfeld können so Investition abgewogen und qualifiziert sowie auch technische, ökonomische oder ökologische Anforderungen berücksichtigt werden. Die beschriebene Vorgehensweise lässt sich auch auf andere Produktentwicklungsprozesse übertragen, beispielsweise auf die Herstellung geschäumter Bauteile. Hierbei stellt die optimale Temperierung zur Erreichung einer qualitativ hochwertigen Bauteiloberfläche eine besondere Herausforderung dar, bietet jedoch ein hohes Potential für Prozessoptimierungen.

www.simpatec.com

Autoren

Cristoph Hinse, Geschäftsführer der SimpaTec Simulation & Technology Consulting GmbH, Aachen.
Paula Hohoff, Ingenieurin bei der SimpaTec Simulation & Technology Consulting GmbH.

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